Das Ende der Exkursionen

Nach seinem Sieg gegen Lokalmatador Rusedski steht der Belgier Xavier Malisse beim Tennisturnier von Wimbledon im Viertelfinale und ist dort angekommen, wo man ihn längst erwartet hatte

aus Wimbledon DORIS HENKEL

An den Erfolg ihrer Tennisspielerinnen haben sich die Belgier mit Vergnügen gewöhnt. An die Siege von Kim Clijsters, die vor einem Jahr im Finale der French Open stand, und an den fabelhaften Aufstieg von Justine Henin, Finalistin in Wimbledon 2001. Nach ihrem Sieg gegen Monica Seles ist Henin auch diesmal im Halbfinale noch dabei, doch die Schlagzeilen daheim gehören zum erstenmal einem anderen. Nach seinem Sieg gegen den Briten Greg Rusedski ist Xavier Malisse der Mann der Stunde.

Manche Dinge dauern bekanntlich etwas länger, und die Geschichte von Malisse, der in zwei Wochen 22 wird, ist dafür ein gutes Beispiel. Der gehörte als Teenager zu den Talentiertesten der Welt, und es galt als ausgemachte Sache, dass er sich früher oder später auch im Kreise der Profis einen Namen machen würde. Doch Xavier war kein allzu netter Junge zu jener Zeit. Er färbte sich die Haare bunt, ließ seinem Temperament freien Lauf, benahm sich wie ein Rüpel und machte sich nicht allzu viele Freunde. Damals trainierte er im Zentrum des Flämischen Tennis-Verbandes, doch irgendwann hatten die Trainer genug von seinem Benehmen und warfen ihn raus.

Malisse hatte seinerzeit schon einen Vertrag mit IMG, der größten Sportmarketing-Agentur, auf deren Vermittlung er zu einem Probetraining in Florida bei Nick Bollettieri kam. Die Trainer dort versicherten ihm, dass sie sich nicht für sein Benehmen interessierten, sondern lediglich dafür, dass er mit hundert Prozent Einsatz bei der Sache war. Malisse fand das okay, er entschied sich, in Florida zu bleiben, wo er nach wie vor lebt. Nach Belgien kommt er nur ein paarmal im Jahr. Auch ein Grund dafür, warum die Leute daheim den weiteren Weg des einstmals bösen Buben bisher nur mit begrenztem Interesse verfolgt haben.

Der andere Grund war der, dass er ziemlich lange brauchte, um zu begreifen, dass Talent allein nichts nützt. Zwei Jahre lang trat er auf der Stelle, verlor öfter als er gewann, und eine kurze, aufreibende Liebesgeschichte half ihm auch nicht eben weiter. Die Beziehung zu Jennifer Capriati endete im Herbst 2000 mit ein paar Verwünschungen und lautem Knall, doch es muss ein Knall gewesen sein, der beide aufgeweckt hat. Capriati gewann wenige Monate später bei den Australian Open in Melbourne ihren ersten Grand-Slam-Titel, Malisse beschloss, seine Karriere noch mal mit mehr Sinn und Verstand anzugehen.

Er fand einen Mann, der ihm dabei half, den Engländer David Felgate, der jahrelang Tim Henmans Coach gewesen war. Malisse sagt, von Felgate habe er unglaublich viel über die mentale Seite des Tennisspiels gelernt, aber genauso viel über das Leben an sich, und er habe davon enorm profitiert. Ein Blick auf die Ergebnisse zeigt, wie sehr das stimmt. Bei den US Open 2001 erreichte er zum erstenmal das Achtelfinale eines Grand-Slam-Turniers, dasselbe gelang ihm bei den French Open in Paris in diesem Jahr, nun spielt er in Wimbledon zum erstenmal im Viertelfinale, und ist endlich dort angekommen, wo er schon viel früher erwartet worden war.

Seit ein paar Wochen hat er, weil sich Felgate mehr um die Familie kümmern wollte, einen neuen Coach, der in diesem Geschäft auch kein Unbekannter ist. Der Mann ist Amerikaner, heißt Craig Kardon und war zuletzt der Trainer von Martina Navratilova. Die Zusammenarbeit ist noch zu frisch, um zu sagen, ob die Verbindung von Dauer sein kann, aber einstweilen ist Malisse rundum zufrieden. Mit sich und mit dem, was er tut. Nach diversen Exkursionen ist das ein neues, ein Erfolg versprechendes Gefühl.¶