Eine neue Form von Schönheit

Parodie und Teilhabe, Selbstermächtigung und Show: Die Dragkings in Gabriel Baurs Dokumentation „Venus Boyz“ sind Gender-Modelleure. Ihre Inszenierungen spotten der Männlichkeit und genießen zugleich deren Härte und Gefährlichkeit

Jeder Drag King bringt sein eigenes Wunsch- und Bedeutungsfeld hervor

von MANFRED HERMES

Dass Männlichkeit nichts als ein großer Ausstattungsfilm ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. „I play men“ ist also der konsequente, aber auch nicht überraschende erste Satz in einer Dokumentation über male drag, die Gabriel Baur mit „Venus Boys“ gedreht hat.

Dragkings sind Gender-Modelleure, die sich zwischen Code und/oder Biologie, Maskerade und/oder Biochemie aufstellen und damit Frauen härtere Gangarten eröffnen. Ihre aufwändigen und intensiven Illusionen kratzen an einer sexuellen Tektonik, wollen aber auch an der Härte, sleaziness und Gefährlichkeit einer supervirilen Männlichkeit teilhaben, auf die sie sich in ihren Kunstfiguren so oft beziehen. Es ist das Spiel der Selbstermächtigung, das hier gespielt wird, parodistisch und völlig ernst: „Hier stehe ich.“ „Da verläuft die Grenze.“ Und „ich will auch mal Arschloch sein“.

Diese Träger neuer Geschlechts-, Körper- und Lebensentwürfe, die Baur porträtiert und befragt, sind professionalisierte Showleute, die wissen, wie sie ihr Publikum packen können. Daher bilden verschiedene Showeinlagen im New Yorker „Slipper Room“ die Klammer in einer Dokumentation, die sich sonst zwischen Privaträumen in Großstädten bewegt.

So ähnlich sich diese Projektionen am Ende auch sehen mögen, die Konzepte dahinter können sehr verschieden sein. Gabriel Baur zeigt, wie jeder King sein eigenes Bedeutungs- und Wunschfeld hervorbringt.

Diane Torr reproduziert und überzeichnet auf der Bühne ein Mackerbild, das ihre eigene Tochter für überspitzt und unangemessen hält. In Selbstbehauptungs-Workshops wiederum gibt Torr an andere Frauen weiter, was sie als Dragking gelernt hat: Körperlichkeit verbreitern, Körperzeichen des Defizits eliminieren und zu einer Forderung machen. Mildred will als Gangsta-Rapper Dréd vor allem berühmt und zum household name werden.

Auch die Berlinerin Bridge Markland geht von einer gewissen Breitbeinigkeit aus, findet aber auch an der Epiphanie geschlechtlicher Möglichkeiten im „Victor/Victoria“-Modus Gefallen: Eine Frau spielt einen Mann, der eine Frau spielt. Markland beschreibt sich als „biologische Frau“, die nicht einmal unbedingt lesbisch ist, während der Londoner Del LaGrace Volcano die Kategorie Frau völlig zurückweist. Er und seine Freunde wollen es nicht beim Illusionismus von Kostüm und Make-up belassen und versprechen sich aufregendere Transgender-Effekte von Testosteron und gegebenenfalls auch von operativen Eingriffen. Was 1989 in Annie Sprinkles gut gemeintem Video „Linda/Les and Annie“ als großartige Einzeltat des Female-to-male-Sexchange gefeiert wurde, hat längst einen Gruppen- und Theorierahmen bekommen: Die Eingriffsmöglichkeiten werden flexibler gestaltbar, da sie sich nicht länger einer Idee von Gender-Perfektion verschreiben.

Dragkings sind hier aber nicht nur Bildhauer, Maler und Designer des eigenen Körpers, einige sind Künstler auch im herkömmlichen Sinn. Del LaGrace Volcano bleibt als Fotograf nah an der Biologie, wenn er sich mit geschlechtlichen Zwischenformen beschäftigt. Seine Fotos weiblicher Geschlechtsteile sind Belege für die große morphologische Bandbreite, die es zwischen den Zuständen Klitoris und Penis gibt, und er verfolgt damit die Absicht, einem selten abgebildeten Körperteil eine neue Form von Schönheit abzutrotzen.

„Venus Boyz“ macht es dagegen genau andersherum. Baurs Film ist eine labor of love und vollzieht daher nach, was ihm seine Protagonisten vorgeben. Zwischen Lebenshilfe und Lebensstil, der Frivolität des baumelnden Latexdildos und der Praktikabilität des Pisser Packer, zwischen mutiger Selbsterfindung und dem Aushalten von Druck wird auch dieser Film multifunktional bis zur konzeptuellen Unkenntlichkeit. Das zeigt sich etwa an der Entscheidung, das Ausgangsmaterial manchmal nachträglich zu verschlieren, um das Bild etwas bewegter und atmosphärischer, vielleicht auch subjektivistischer zu machen.

Problematisch ist dabei manchmal auch Baurs Zugang zum Biografischen. Der Blick auf Kindheitsfotos ist im Rahmen von waghalsigen sexuellen Geschichten zwar immer für eine Überraschung gut. Aber mit solchen Fotos geht man doch nur wieder bei jenem genormten kleinen Wesen vor Anker, das auch der wildeste und politischste Dragking in einem früheren Leben einmal war.

„Venus Boyz“. Regie: Gabriel Baur. Mit Dréd Gerestant, Del LaGrace Volcano, Queen Be Luscious, Diane Torr, Judith Halberstam u. a., Schweiz 2001, 104 Minuten