Kartographie des Gedenkens

Der Berliner Künstler Gunter Demnig führt sein europaweit geplantes Projekt „Stolpersteine“ zur Erinnerung an Nazi-Opfer in Hamburg fort. Beginn ist heute vor den Kammerspielen

Gunter Demnigs Ziel ist eine neue Art dezentralen Gedenkens, das sich an ganz privaten Orten orientiert

von PETRA SCHELLEN

Es geht nicht darum, dass man angesichts in diffus-ergriffener Gedenkpose verharrt. Solch mentaler Ablasshandel ist dem Berliner Bildhauer Gunter Demnig fremd. Auch Moral predigen möchte er nicht. Sein europaweit angelegtes Projekt „Stolpersteine“, dessen Hamburger Etappe heute beginnt, richtet sich vielmehr aufs dezentrale Gedenken: „Mir ist es wichtig, den Leuten zu zeugen, dass es ihre ganz normalen Nachbarn waren, die während des Dritten Reiches von den Nazis deportiert wurden.“

Rund 1700 zehn mal zehn Zentimeter große Gedenksteine, gefertigt aus auf Beton montierten Messingplatten, hat Demnig seit 1992 in Berlin, Köln, Leverkusen und kleineren Städten in Eifel und Sauerland verlegt. Die Gravur ist schlicht: „Hier wohnte Martha Löwinsohn, Jg. 1872, Tod am 7.6.1942, Ghetto Lódz“ steht zum Beispiel auf einem Berliner Stein, ebenerdig eingelassen in den Bürgersteig vor dem ehemaligen Wohnhaus der Ermordeten. „Ich möchte Gedenken konkret machen“, sagt Demnig.

Den Ausschlag, für das „Stolperstein“-Projekt, das Juden, Roma und Sinti, politisch Verfolgten, Homosexuellen, Zeugen Jehovas und Euthanasieopfern der Nazis gewidmet ist, gab eine Begegnung bei einer früheren Kunstaktion: „Als ich 1993 in Köln meine Messing-Wegspur für die 1000 im Mai 1940 ermordeten Roma und Sinti anlegte, sagte eine Anwohnerin, hier in der Gegend habe es gar keine Roma und Sinti gegeben. Ich zeigte ihr die Akten, und es stellte sich he- raus, dass sie wirklich nicht gewusst hatte, dass die unauffällig lebenden Nachbarn Roma gewesen waren“, erzählt Demnig. „Und da ist mir klar geworden, dass man den Leuten bewusst machen muss, dass es ihre teils vollkommen assimilierten Mitbürger waren, die die Nazis abtransportierten. So kann vielleicht eine neue Art privaten Gedenkens entstehen.“

Als – auch – dokumentarische Arbeit, angesiedelt „irgendwo zwischen Gedenk- und Gebrauchskunst“, betrachtet Demnig sein Projekt, das er über Patenschaften finanziert. Ein Ansatz, den er auch für Hamburg gewählt hat: „Das Projekt kostet die jeweilige Stadt keinen Cent, und die Adress-Recherche übernehmen meist Archive, Vereine oder Einzelpersonen vor Ort.“

Allein in Hamburg gab es, das hat Kunstsammler Peter Hess, der das Projekt hier betreut, recherchiert, 8877 jüdische Opfer. 80 bis 100 Gedenkstein-Paten gibt es bereits, „und wenn ich in Hamburg 1000 Steine verlegen kann, bin ich schon zufrieden. Und auch insgesamt wird die Aktion natürlich symbolhaft bleiben. Ich kann nicht sechs Millionen Steine produzieren“, sagt Demnig.

Offiziell beginnen wird die Hamburger Verlegung der Steine heute Mittag vor den Kammerspielen. Ein auch für die derzeitige architektonische Kulturpolitik aufschlussreiches Gebäude, dessen historische Fassade inzwischen von einem weit auskragenden Glaskubus abgedeckt wird, den Erbpächter Jürgen Hunke gegen den Willen von Intendant Ulrich Waller angebaut hat. Die Kammerspiele haben auf Hess‘ Anfrage auch das Paten-Spendenkonto für die Gedenksteine eingerichtet.

36 Steine sollen zunächst im Grindelviertel verlegt werden, das Bezirksamt Eimsbüttel hat der Aktion offiziell zugestimmt, so Hess; als nächstes wird er die Bezirke Altona und Mitte kontaktieren. Die Montage der „Stolpersteine“ wird Demnig selbst vornehmen – in Anwesenheit eines Wegemeisters, das war Bedingung der Stadt Hamburg. „Ich habe vom Kölner Amt für Straßen- und Verkehrstechnik eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, dass ich die Verlegung fachmännisch durchführe. Denn dass ich das selber tue, gehört zum künstlerischen Konzept.“

Leicht herausmontierbar werden die Steine übrigens nicht sein: „Die Gedenksteine werden zehn Zentimeter tief in den Bürgersteig eingelassen – doppelt so tief wie normale Gehwegplatten.“ Dass die Gravur irgendwann unleserlich wird, befürchtet Demnig nicht: „Der Text wird ja nicht eingemeißelt, sondern in die Messingplatte hineingeschlagen. Das hält dann schon etliche Jahrzehnte.“ Pragmatisch sieht der Künstler auch die Tatsache, dass man auf die Steine treten wird, oft einfach über sie hinweglaufen wird, weil man sie nicht bemerkt hat. „Angesichts der Tatsache, dass die Grabplatten mittelalterlicher Kirchenfürsten immer in den Boden der Kirchen eingelassen sind, finde ich das nicht problematisch. Außerdem bleibt das Messing schön blank, wenn man darauf tritt.“

Dezent wird die Aktion sein, reales Stolpern ausgeschlossen, da die Steine ebenerdig in den Bürgersteig montiert werden. Sie sollen eher stetig wiederkehrende Erinnerungs- und Informationspartikel sein, der dem Vergessen nachhaltig vorbeugt und zudem historische Orte markiert.

Geplant ist das Projekt übrigens für Gesamteuropa, „aber vorläufig bin ich in Deutschland stark beschäftigt: Gespräche mit Frankfurt und Stuttgart laufen; Freiburg und Breisach haben sogar von sich aus angefragt. Andere Städte wiederum lehnten mit der Begründung ab, ein solches Projekt gebe es in anderen Städten ja schon. Ein etwas absurdes Argument, das man natürlich auch genau andersherum lesen kann...“

Im europäischen Ausland hat Demnig bislang allerdings eher Desinteresse vorgefunden: „Die Kontakte nach Amsterdam und Mailand sind nach anfänglichen Bemühungen meinerseits eingeschlafen, das Pariser Goethe-Institut, das ich zur Mitabeit bewegen wollte, hat gleich gesagt, es habe kein Geld – dabei kostet die Aktion gar nichts. Das wird wohl noch langwierig werden.“

Doch solche Erfahrungen entmutigen Demnig nicht, hat er doch in Bonn, wo er vorige Woche 25 „Stolpersteine“ verlegt hat, Interesse geweckt: „Aus einem Haus, vor dem ich einen Stein anbrachte, kam eine Dame heraus und sagte, sie werde diese Aktion zum Anlass nehmen, etwas zu tun, was sie schon lange vorhatte: sich in städtischen Archiven über die Eigentumsgeschichte ihres Hauses zu informieren.“

Ein Effekt, den Demnig nicht erzwingt, aber dezent suggeriert. Eine Notwendigkeit auch, wenn man bedenkt, dass das Kapitel „ehemals jüdischer Besitz“ noch lange nicht abgeschlossen ist. Und auch das seit zwei Jahren laufende Provenienzprojekt der Kunsthalle, in dessen Verlauf alle Werke auf ihre Herkunft untersucht werden sollen, zählt bislang zu den wenigen löblichen Ausnahmen: Deutschlandweit bemühen sich derzeit ganze fünf Museen um die lückenlose Erforschung der Besitzverhältnisse ihrer Gesamtbestände. Vom Mobiliar der Deportierten, das, damals günstig ersteigert, noch in Privathaushalten lagert, ganz zu schweigen.

Beginn der Aktion heute, 12 Uhr, vor den Kammerspielen ( Hartungstraße 9-11). Patenschaft pro Gedenkstein: 75 Euro. Konto der Hamburger Kammerspiele, Hamburger Sparkasse. Konto-Nr.: 1230/134 361. BLZ: 200 505 50. Stichwort: Stolpersteine. Information bei Peter Hess unter Tel.: 040 / 41 05 162