Die Glückspillen des Jan U.

Nach seinem positiven Dopingbefund wird Radprofi Ullrich vom Team Telekom beurlaubt. Der Hauptsponsor ist schon länger unzufrieden, und auch Teamchef Godefroot will nicht mehr so recht

von SEBASTIAN MOLL

Jan Ullrichs Alkoholeskapaden in der Freiburger Bahnhofsdiskothek hatten Telekom-Teamchef Walter Godefroot bereits einiges Magengrimmen bereitet, und so hatte der 60 Jahre alte Belgier Ullrich unlängst zu einem ernsten Gespräch geladen. „Ich habe ihm klare Signale gegeben, worum es geht, und ich hoffe, er hat sie verstanden. Jetzt ist es an ihm, sich zu entscheiden.“

Anscheinend hat Ullrich Godefroot überhaupt nicht verstanden. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Ullrich bei einer Trainingskontrolle während eines Reha-Aufenthaltes am Tegernsee nach einer Knieoperation Amphetamine im Körper hatte. „Jan Ullrich wurde beurlaubt. Das ist so üblich“, sagte Godefroot gestern gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

„Die internationalen Sportgruppen sind übereingekommen, dass Fahrer mit einer positiven A-Probe beurlaubt werden, bis das Ergebnis der B-Probe vorliegt.“ Mit Spannung wird Ullrichs heutige Erklärung erwartet. Godefroot bestätigte, dass er mit Ullrich telefoniert habe. „Er kann sich nicht erklären, wie der Befund zu Stande gekommen ist.“ Warum Ullrich nach einer Knieoperation in wettkampffreier Zeit ausgerechnet Amphetamine eingenommen hat, erzeugte bei seinem Arbeitgeber Verwunderung. Telekom-Pressesprecher Olaf Ludwig sagte: „Das macht überhaupt keinen Sinn.“ Amphetamine putschen kurzfristig auf und werden deshalb unmittelbar vor einem Rennen eingesetzt. Unter Radsportlern waren sie die Modedroge der 70er-Jahre. „Wer sich damals bei einem Rennen was vorgenommen hatte, nahm Amphetamine“, erinnert sich Didi Thurau. Seither stehen Amphetamine auf jeder Dopingliste und sind mit modernen Methoden ausgesprochen leicht nachzuweisen.

Sollte Ullrich die Mittel aus sportlichen Gründen genommen haben, muss er sich in seiner Kurklinik demnach vor Kontrollen sehr sicher gefühlt haben. Der einzige plausible Grund zur Eigentherapie wäre, dass Amphetamine sowohl appetitzügelnde als auch stimmungsaufhellende Wirkung besitzen.

Eine andere Theorie wurde von Ullrichs Freiburger Hausarzt Dr. Birnesser kolportiert. Ullrich sei in seiner Klinik die Decke auf den Kopf gefallen – und da sei ihm die schlechte Gesellschaft, in der er sich derzeit offenbar bewege, recht gekommen. Die Verführer hätten Ullrich vom Tegernsee in eine Münchner Disko geschleppt und dort sei er „unbewusst“ mit amphetaminhaltigen Partydrogen in Verbindung gekommen. Eine Theorie, an der Rudy Pevenage anscheinend Gefallen findet: „Ullrich verkehrt in letzter Zeit mit den falschen Leuten“, findet der Team-Direktor, der lange als Ullrichs Förderer und Mentor galt.

Auf welchem Weg und aus welchem Grund das Mittel nun tatsächlich in den Organismus des Champions gelangt ist, vermochte gestern nicht einmal sein Manager Wolfgang Strohband zu sagen. Das werde Ullrich womöglich heute in seiner Verlautbarung erklären. Auch zu möglichen Konsequenzen der Amphetamineinnahme wollte Strohband sich noch nicht äußern: „Ich mache mir da so meine Gedanken“, sagte er vielsagend. Ähnliches war aus dem Lager des Teams Telekom zu hören. Godefroot, der zehn Jahre die Radcrew geführt hat, sagte konsterniert, er müsse sich erst mal sortieren. Pevenage räumte immerhin ein, dass eine vertragsgemäße Kündigung Ullrichs eine Option sei, sollte sich der Fall mit der B-Probe verschärfen.

Die Konsequenzen fürs Team Telekom könnten jedoch weitaus gravierender sein als der Verlust ihres Stars. Der Vertrag zwischen der Godefroot GmbH und der Telekom AG läuft zum Ende des Jahres 2003 aus. Dass sich Telekom zu Beginn dieses Jahres dazu entschlossen hatte, den FC Bayern zu fördern, wurde von vielen Beobachtern bereits als Zeichen dafür gewertet, dass das Interesse am Radsport abnimmt. Darauf, dass die Gerüchte vom Ausstieg der Telekom AG Substanz besitzen, weist auch hin, dass Godefroot einige Fahrerverträge im nächsten Jahr nicht verlängert. Das könnte eine Strategie sein, das Team für einen neuen Sponsor attraktiv zu machen. Oder es könnte der Beginn einer Abwicklung sein. „Ich brauche den Radsport nicht mehr unbedingt“, hatte Godefroot schon vor dem Bekanntwerden des Dopingfalls Ullrich gesagt. Mit der Einnahme der kleinen Schlank- und Glücklichmacher könnte Ullrich das ohnehin bevorstehende Ende des Teams beschleunigt haben. Einen besseren Vorwand zum Ausstieg kann man einem ohnehin müden Sponsor jedenfalls nicht liefern.