■ Hypotheken der Vergangenheit. Wo bleibt die politische Lösung?
: Quälend lang und unwürdig

betr.: „Kein Geld für die Opfer“ (Das Tauziehen um deutsche Liegenschaften in Athen wegen Entschädigungsansprüchen ist offenbar beendet), taz vom 25. 6. 02

Hintergrund der Auseinandersetzung ist das Bemühen von Opfern und Hinterbliebenen eines SS-Massakers am 10. Juni 1944 in der griechischen Gemeinde Distomo um die zwangsweise Durchsetzung ihrer Entschädigungsforderungen. Da die Regierung in Athen bereits mehrfach betont hat, sie wolle eine solche Zustimmung nicht geben, entsteht für die Leser(innen) der Eindruck, die Kläger aus Distomo seien mit ihrem Bemühen um eine Entschädigung gescheitert. Dieser Eindruck ist falsch.

Für juristische Laien ist es inzwischen zur Regel geworden, dass nahezu jeder juristische Schritt im „Fall Distomo“ zu Irritationen und Missverständnissen auch bei den berichtenden Journalist(inn)en führt. Die Vielzahl der Verfahren, der unterschiedlichen Instanzen, der getroffenen Entscheidungen und der eventuellen Revisionsmöglichkeiten lässt den gesamten juristischen Komplex als undurchschaubar erscheinen.

Auch weil sich inzwischen eine Vielzahl von Menschen in der Entschädigungsfrage und speziell im Fall Distomo engagieren, scheint es notwendig, einige Dinge klarzustellen: […]

1. Im „Fall Distomo“ ist die Bundesrepublik 1997 vom Landgericht Livadia verurteilt worden, ca. 28 Millionen Euro Schadensersatz an die Opfer und Hinterbliebenen zu zahlen. Dieses Urteil wurde im Jahr 2000 vom Areopag höchstrichterlich bestätigt. Es ist damit rechtskräftig, auch wenn es von der Bundesregierung, unter Hinweis auf die Staatenimmunität, nicht anerkannt wird. Strittig ist allein, ob das Urteil durch Zwangsvollstreckung (also die „publikumswirksame“ Versteigerung des Goethe-Instituts usw.) umgesetzt werden kann.

2. An der Rechtskraft des Distomo-Urteils könnte und würde die gemeldete neue Entscheidung des Areopags also nichts ändern. Auch hätte der Areopag nicht nachträglich dem Distomo-Urteil widersprochen und das Bemühen der Bundesregierung um Anerkennung der Staatenimmunität nicht anerkannt. Stattdessen würde die griechische Regierung bzw. der griechische Justizminister in die Situation gebracht, dass er, würde er an seiner Ablehnung der Zwangsvollstreckung festhalten, die alleinige Verantwortung dafür übernähme, dass ein höchstrichterliches Urteil seines Landes nicht umgesetzt würde.

3. Wenn die Kläger ihr Recht im eigenen Land nicht durchsetzen könnten, das heißt alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft wären, würde die Angelegenheit zu einem Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser hat bereits grundsätzlich eine Klage zugelassen.

4. Vor dem Obersten Sondergericht wird derzeit ebenfalls der sog. Lidoriki-Fall (Entschädigung für ein durch die Waffen-SS zerstörtes Haus) verhandelt. Bei dieser Klage soll noch einmal eine grundsätzliche Entscheidung darüber getroffen werden, ob die Bundesrepublik in derartigen Fällen Staatenimmunität geltend machen kann. Dieser Fall hat eine besondere Brisanz, weil von seinem Fortgang eine Entschädigungsklage mehrerer Einwohner Distomos beeinflusst werden kann, die am Bundesgerichtshof in Karlsruhe anhängig ist. Dabei geht es um eine eventuelle Bindungswirkung der griechischen Gerichtsentscheidung für den BGH. Aus diesem Grund haben sich der verhandelnde Senat des BGH und die Parteien in Karlsruhe am 10. Mai 2001 darauf verständigt, das laufende Verfahren zu unterbrechen und die Fortführung bis zur Entscheidung des Obersten Sondergerichtshofes zurückzustellen.

Es ist also falsch, wenn der Eindruck erweckt wird, durch die angeblich bevorstehende Entscheidung des Areopags sei das Tauziehen um deutsche Liegenschaften in Athen offenbar beendet und es gebe keine Hoffnung für die Distomo-Kläger mehr. Stattdessen ist davon auszugehen, dass der juristische Streit auf den unterschiedlichen Ebenen weitergehen wird und sich noch sehr lange hinziehen kann.

Tatsächlich zeigen die oben genannte Meldung und ihre Hintergründe einmal mehr, wie quälend lang und unwürdig der Weg ist, der den Opfern und Hinterbliebenen von Distomo und anderen griechischen Orten aufgezwungen wird, um von der Bundesrepublik eine offizielle Anerkennung der Verbrechen und eine finanzielle Entschädigung zu erhalten. Für die rot-grüne Bundesregierung stellt sich die Frage, wie lange sie mit derartigen Hypotheken der Vergangenheit noch vor die unterschiedlichsten Gerichte gezerrt und durch die Weltpresse gereicht werden will, bevor sich endlich die Einsicht durchsetzt, dass es notwendig ist, nach einer politischen Lösung zu suchen. DIETER BEGEMANN, Herford