Wider die Logik der Erpresser

Wer die Blockade der USA gegen den Internationalen Strafgerichtshof überwinden will, darf nicht nur mit der Regierung verhandeln. Denn Bushs Gegner erstarken zunehmend

Wer in der künftigen Jurisdiktion den USA Sonderrechte gewährt, untergräbt die Legitimation des Gerichts

Für die Bundesregierung und speziell für ihren Außenminister ist jetzt der Ernstfall eingetreten. Der immer befürchtete, aber stets auch nur als Möglichkeit geleugnete Eklat im Verhältnis zu den USA – jetzt ist er da, verursacht durch das Veto der Regierung Bush im Weltsicherheitsrat: Darin verknüpfte sie die Verlängerung des UN-Mandats für Bosnien mit der Forderung, amerikanische Bürger von der Verfolgung durch den künftigen Internationalen Strafgerichtshof auszunehmen. Zur Charakterisierung dieses Vetos genügt ein Wort: Erpressung. Mit diesem altvertrauten Instrument außenpolitischer Problemlösung hat Joschka Fischer nicht gerechnet.

Der Außenminister hat zwar stets die Felder benannt, wo die politischen Auffassungen der USA und der EU sich konträr gegenüberstehen. Wenn er aber über einseitige Maßnahmen der USA sprach, ja sogar vor der Gefahr des „Unilateralismus“ warnte, so folgte stets die Beschwörungsformel von atlantischer Partnerschaft. Fischer sorgte sich, dass eine Kritik an den USA, die die Außenpolitik von Bush systematisch mit amerikanischen Großmachtinteressen verknüpfte, in eine gefährliche Zone abdriften könnte. Er fürchtete ein Revival des Antiamerikanismus, den er mit dem antiwestlichen und demokratiefeindlichen „deutschen Sonderweg“ identifizierte.

Unter rot-grünen Außenpolitikern galt die Devise: Keine Abgrenzung von den USA. Wenn nicht anders möglich, wird die Bundesregierung (und die EU) eben ihre eigene Linie verfolgen: den Amerikanern nie die Tür vor der Nase zuschlagen, mit ihnen im Gespräch bleiben, sie Schrittchen für Schrittchen überzeugen, sodass sie schließlich ihre Bedenken überwinden und diesem oder jenem internationalen Abkommen beitreten. So auch die Linie bei den Verhandlungen mit den USA zum Internationalen Strafgerichtshof. Angestrebt wurden „gute Nachbarschaft“ und „wohlwollende Unterstützung“.

Die Juristen der Staaten, die das Projekt unterstützten, ließen sich auf weit gehende Kompromisse ein. Ihnen war klar, dass die Amerikaner vor allem dem Artikel 12 des Statuts den Stachel ziehen wollten. Darin wird nämlich die Unabhängigkeit des Gerichts vom Sicherheitsrat der UNO und damit von einem Veto der ständigen Mitglieder festgeschrieben. Das amerikanische Anliegen wollten die Juristen nicht zulassen, aber gleichzeitig setzten sie auf langfristige friedliche Koexistenz zwischen Anhängern und Gegnern des Statuts. Jetzt sind sie den aggressiven Gegenreaktionen der USA ausgesetzt – und zwar in Gestalt des vom Senat bereits beschlossenen Gesetzes zum Schutz amerikanischer Soldaten bei Einsätzen im Ausland, des American Servicemembers Protection Act. Dieses Gesetz könnte die USA in die Lage versetzen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt auch militärischen Druck auf die Unterzeichnerstaaten des Abkommens auszuüben und beitrittswillige Länder z. B. in ihrer südamerikanischen Hegemonialzone von der Ratifizierung abhalten. Auch hier ist die erpresserische Logik offensichtlich.

Wirklich seltsam an der Auseinandersetzung um den Internationalen Strafgerichtshof ist die geringe praktische Relevanz. Die Tätigkeit des Gerichts ist auf wenige Kriegs- und Menschheitsverbrechen großen Ausmaßes beschränkt, es kann nur komplementär tätig werden, wenn der Staat, dessen Bürger diese Verbrechen begangen haben, sie nicht verfolgen kann oder will. Unwahrscheinlich, dass amerikanische Staatsbürger sich in absehbarer Zeit vor den Schranken des Haager Gerichts werden verantworten müssen. Präsident Bush geht es also ums Prinzip. Die gegenwärtige US-Politik will eine Minderung der souveränen Rechte des Nationalstaats USA grundsätzlich nicht hinnehmen – und hat sich gegen den universalistischen Anspruch ihrer Menschenrechtstradition für ihre Sonderrolle als Supermacht entschieden.

Für das Selbstverständnis von Rot-Grün ist die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs kein Projekt unter anderen. Es betrifft vielmehr den Kern einer menschenrechtlich orientierten Außenpolitik. Deren Verwirklichung setzt voraus, dass allgemeine Standards gelten, dass die Verteidigung der Menschenrechte nicht von Fall zu Fall und nach politischen Kalkül erfolgt. Rule of law, die internationale Herrschaft des Rechts, ist die einzige Legitimationsgrundlage, kraft derer die Souveränität der Staaten und das Recht des Stärkeren, der „Naturzustand“ der Staatenwelt, eingeschränkt werden kann. So viel der Internationale Strafgerichtshof auch der Spruchpraxis der Ruanda- und Bosnientribunale verdankt, er dient schließlich der Überwindung von Willkür bei der Verfolgung von Unrecht. Gerade aber diese Willkür nehmen die USA offenbar für sich in Anspruch und führen damit die Grundidee, unter der Rot-Grün angetreten ist, ad absurdum. Bei der aktuellen Auseinandersetzung um das amerikanische Veto geht es nicht nur darum, dass Bosnien-Herzegowina fortdauernd internationale Hilfe und Schutz gewährt wird. Es gilt zudem zu klären, welcher Kurs künftig gegenüber erpresserischen Aktionen der USA einzuschlagen ist.

Für Rot-Grün ist der Internationale Strafgerichtshof Kern menschenrechtsorientierter Außenpolitik

So richtig das Argument ist, dass ohne die politische Potenz der USA der Internationale Strafgerichtshof langfristig ein Torso bleiben wird – mit Formelkompromissen ist hier niemandem geholfen. Denn wer im Kernbereich der künftigen Jurisdiktion nachgibt (und ein Sonderrecht für die USA schafft), untergräbt die Legitimation des Gerichts. Was also tun? Wo es Joschka Fischer an Klarheit gebricht, hat der deutsche Chefjurist bei den Verhandlungen zum Strafgerichtshof, Hans-Peter Kaul, deutliche Worte gefunden. Er verwies auf die Befürworter der internationalen Gerichtsbarkeit in den USA selbst: die Koalition von Menschenrechtsorganisationen, Anwälten und Gelehrten, die Bushs Position zum Einsturz bringen könnte. Kaul äußerte sich nicht als menschenrechtsfreundlicher Privatmann, sondern als Beamter des Auswärtigen Amtes. Wenn er es wagte, sich über den Kopf des staatlichen Verhandlungspartners hinweg an die amerikanische Zivilgesellschaft zu wenden, sollte das für seinen Chef eine Selbstverständlichkeit sein.

Gegen zwei fatale Strömungen bei uns gilt es anzugehen: Die eine vernachlässigt die amerikanische Gesellschaft, weil sie die USA für einen Monolithen imperialer Macht hält. Hier öffnet sich tatsächlich das Tor für einen reaktionären Antiamerikanismus. Die andere blendet die Civil Society aus, weil sie vollständig auf die zwischenstaatliche Verhandlungsebene fixiert ist und die gesellschaftlichen Wirkungen, die Außenpolitik so oder so hat, ausblendet. Demgegenüber gilt: Obwohl Bush es verstanden hat, sich den amerikanischen Patriotismus dienstbar zu machen, erstarken die universalistischen Gegenkräfte in den USA und formieren sich. Mit den Amis reden heißt eben nicht nur, den Blick starr auf die staatlichen Repräsentanten zu richten. Das wusste Joschka Fischer einmal. Vielleicht fällt es ihm nach dem 22. September wieder ein. CHRISTIAN SEMLER