Die Isolation durchbrechen

Erfolgreiches Angebot: Seit einem Jahr veranstaltet die Volkshochschule in Harburg und Wilhelmsburg spezielle Sprachkurse für ausländische Mütter und ihre Kinder

Während die Väter bei der Arbeit und die Kinder in Schule oder Kindergarten sind, leben viele Frauen isoliert und können nicht einmal bei den Hausaufgaben helfen

von TILL WEINGARTEN

Ein wenig schüchtern kommen die zwölf Frauen in den Klassenraum und suchen sich einen Platz. „Ich habe hier eine Einladung zum Wandertag ins Planetarium“, beginnt Cornelia Neumann den Unterricht. „Wer möchte sie vorlesen?‘‘ Eine Freiwillige arbeitet sich durch den Text, wird es zu schwierig, hilft die Lehrerin weiter. „Weiß jemand, was ein Planetarium ist?“ Keine Wortmeldung. Neumann erzählt von Himmelsbeobachtung und Sternbildern und erklärt den Frauen, was es mit der Mitteilung auf sich hat, die einige ihrer Kinder aus der Schule mitgebracht haben.

Die 49-jährige studierte Pädagogin unterrichtet Deutsch für Ausländerinnen. Das Besondere: Es sind ausschließlich Mütter, die im Klassenraum der Wilhelmsburger Grundschule Buddestraße sitzen, während ihre Töchter und Söhne, meist im Vorschulalter, in einem Nachbarraum betreut werden. Seit einem Jahr gibt es dieses spezielle Angebot der Volkshochschule Wilhelmsburg und Harburg; zur Zeit lernen 350 Frauen vor allem aus der Türkei, Südosteuropa und dem arabisch sprechenden Raum mit ihren Kindern in 32 Kursen. Ziel ist es, die Mütter über die Vermittlung von Sprache besser mit ihrem Umfeld in Kontakt zu bringen. Denn während die Väter bei der Arbeit und die Kinder in Schule oder Kindergarten Deutsch lernen, leben viele Frauen isoliert und können ihren Kindern nicht einmal bei den Hausaufgaben des Grundschulunterrichts helfen.

„‘Circa‘ heißt ‚ungefähr, man weiß es nicht genau‘“, sagt Neumann und schreibt das gebräuchliche Fremdwort an die Tafel. Die Frauen schreiben mit, obwohl die Abmachung ist: nur wer möchte, lernt Vokabeln. Das, sowie der Verzicht auf Hausaufgaben oder Tests gehört zum pädagogischen Konzept der Mütterkurse, das die Sprache eher spielerisch über das Miteinander-Reden, das Hören und bildhafte Denken nahebringen will. Und damit Erfolg hat, wie Sabine Schlüter, Direktorin der VHS Hamburg, betont.

Geografie und Wissenswertes über deutsche Städte steht auf dem Programm. Cornelia Neumann hat für alle eine Deutschlandkarte aus dem Atlas kopiert. „Wisst ihr, wo die Elbe ist?“, fragt sie in die Runde. Eine junge Türkin fährt mit dem Finger den Flusslauf entlang. „Unsere Schule ist im Süden“, sagt sie leise. „Genau. Wir sind im südlichen Teil von Hamburg, also südlich der Elbe“, ergänzt Neumann. Andere Frauen mischen sich ein – wenn sie gefragt werden. Die Stimmung ist gelöst, es wird viel gelacht. Dass die Mütter keine Standard-Sprachkurse besuchen, erklärt Neumann auch mit „der strengen Ausübung ihrer Kultur und Religion“. Nur in Begleitung des Ehemannes oder des Sohnes dürfen sie in der Regel das Haus verlassen – undenkbar, dass sie mit einem Mann die Kursbank drücken.

Vertrauen, sagt Neumann, sei deshalb das A und O, um möglichst viele der Frauen zu erreichen, die sonst keine Chance hätten, Deutsch zu lernen. „Wir geben unsere Angebote in die Kindergärten und Vorschulen“, erzählt sie. Die Kinder kommen mit den Zetteln nach Hause und tragen die Informationen so in die Familie. Dort werde dann „besprochen, ob die Mutter hingehen darf‘‘.

Im Klassenzimmer nebenan hat Turgut Ayse kleine bunte Karten ausgelegt. Tiere sind darauf, die Buchstaben halten, und Märchenfiguren mit Zahlen. Auch die Lehrerin des Kinderkurses benutzt keine Lehrbücher mit aufbauender Grammatik. Afghanische, türkische und albanische Kinder sind an diesem Tag in Ayses Kurs. Für die 30-Jährige stellen die unterschiedlichen Kulturen kein Problem dar – im Gegenteil: „Die PISA-Studie hat ergeben, dass der Lernerfolg dort am größten ist, wo die Gruppen gemischt zusammengesetzt sind“, sagt sie. „Wir müssen mit einem alten Mythos in Deutschland aufräumen, dass homogene Gruppen besser und schneller lernen.“

Zwei Erstklässler brüten über ihren Hausaufgaben, Ayse hilft auch ihnen dabei. Oft sind es bis zu zwanzig Kinder, die sie betreut, während die Mütter nebenan lernen. Manchmal kommen auch die älteren Geschwister mit. Sie haben den Kurs entweder schon früher besucht oder es macht ihnen einfach Spaß, in der Gruppe Deutsch zu lernen. Mit Ayses Unterstützung gelingt es den Kindern, das Puzzle zusammenzusetzen, wenig später ist der Unterricht zu Ende. Auch nebenan packen die Mütter ihre Unterlagen ein.

„Ich hoffe, ihr kommt nächstes Mal alle wieder?“, fragt Cornelia Neumann die Mütter. Die Frauen lächeln und nicken. Sie kommen gerne. Obwohl es keine Anwesenheitspflicht gibt, sind die Kurse immer gut ausgelastet. Draußen warten bereits die ersten Ehemänner, um Mutter und Kind abzuholen.