Schulbehörde zur Nachprüfung

Weil der Staat kein Beglückungskommandant ist: Schulsenator Langes Ansinnen, die Fachoberschulen schnell zu schließen, war rechtswidrig. Eltern wollen gegen das Abitur nach 12 Jahren klagen, denn auch dafür gibt es bisher keine Rechtsgrundlage

Von SANDRA WILSDORF

Als Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) im Frühjahr die Idee hatte, Fachoberschulen (FOS) und Berufsfachschule Handel und Industrie zu schließen und er über 800 Jugendlichen mitteilen ließ, die Schule, an der sie sich für den Sommer angemeldet hatte, würde dann nicht mehr existieren, handelte er rechtswidrig. Das ergibt ein von der SPD-Fraktion in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.

Die Juristen sehen in dem Vorgehen des Senats gleich mehrere Verstöße gegen geltendes Recht: Zum einen schreibt das Hamburger Schulgesetz eine Rechtsverordnung vor, wenn Schulen errichtet, geteilt oder geschlossen werden sollen. Eine solche Rechtsverordnung gab es nicht, „die Behörde handelte ohne Ermächtigung“, folgert Rechtsanwalt Professor Christian Bernzen. Außerdem verstoße die Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn der Entschluss, die Bildungsgänge einzustellen, „stellt in seiner konkreten Gestalt einen erheblichen Eingriff in rechtlich geschützte Positionen von Eltern und Schülern dar“. Berührt seien das Erziehungsrecht der Eltern, der Gleichheitsgrundsatz sowie das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte.

Denn ohne die FOS hätten Realschulabsolventen künftig keine Möglichkeit mehr, ohne vorherige Berufsausbildung die Fachhochschulreife zu erwerben. Durch den späten Zeitpunkt der Entscheidung entstünden den Jugendlichen außerdem „erhebliche Nachteile“. Erst kurz vor Ende der Anmeldefrist hatte die Behörde die Schüler von der beabsichtigten Schließung informiert und sie aufgefordert, sich eine Lehrstelle zu suchen. „Der größte Teil der in Frage kommenden dualen Ausbildungsplätze war bereits vergeben“, urteilen die Juristen, die Jugendlichen müssten sich mit Restplätzen begnügen. Durch ihre späte Entscheidung hat der Senat darüber hinaus den Vetrauensschutz verletzt, denn die Schüler hatten sich nach längerer Orientierungsphase an einer Schule angemeldet und glaubten, einen sichereren Platz zu haben.

Nach Protesten von vielen Seiten und einer Demonstration von etwa 1000 Jugendlichen hatte Lange schließlich ein Stück nachgegeben: Es würde die Bildungsgänge in diesem Jahr noch einmal geben. Aber die bereits angemeldeten Jugendlichen mussten per Stempel vom Arbeitsamt nachweisen, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz gescheitert zu sein, außerdem wurde der erforderliche Notendurchschnitt angehoben. Auch das, so das Rechtsgutachten, war rechtswidrig. Denn die Behörde habe nachträglich in die bereits nahezu abgeschlossene Anmelderunde eingegriffen und mit erheblichem Druck versucht, Schüler, die sich bereits entschieden hatten, zur erneuten Suche eines Ausbildungsplatzes zu drängen. Damit wurde ihnen letztlich eine freie Wahl vorenthalten. „Der Staat ist nicht der Glückskommandant, sondern er stellt Wahlmöglichkeiten zur Verfügung“, sagt Bernzen.

Für die SPD-Abgeordnete Britta Ernst bestätigt das Gutachten, „unseren Verdacht“. Sie findet es „bedenklich, wenn sich ein Senator nicht an Recht und Gesetz hält“ und ermuntert die Schüler, die sich durch die Maßnahmen der Behörde abhalten ließen, nun doch an ihrer Wahl festzuhalten. Die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage ergibt, dass sich etwa die Hälfte derer, die sich bis zum 31. März angemeldet hatten, nun umorientiert haben. „Wir wissen nicht, wo die geblieben sind“, sagt Ernst und wirft Lange vor, Hunderte junger Menschen in ihrer Berufswahl beschränkt zu haben.

Juristen beschäftigen sich übrigens auch gerade mit einem anderen Vorhaben des Schulsenators: Fünf Eltern wollen juristisch gegen das Abitur nach 12 Jahren vorgehen. Denn auch dafür gibt es keine rechtliche Grundlage. Denn das Schulgesetz wird frühestens Mitte 2003 entsprechend geändert, die fünften Klassen sollen aber bereits nach den Ferien zwei Stunden mehr Unterricht erhalten.