Von links gegen Rot-Rot

Linke Ökonomen entwerfen Alternativszenario für Berlin: Mit der richtigen Politik könnte das Land bis 2006 auf eine rote Null kommen – ohne die Sparpolitik des Senats. Zugleich könnten Jobs entstehen

von BEATE WILLMS

Die rote Null ist möglich. Und noch mehr: Bis 2006 kann der Berliner Haushalt konsolidiert und gleichzeitig die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden – mit bis zu 40.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Das ist das Ergebnis einer Studie linker Ökonomen und Praktiker aus Forschung, Wirtschaft und Gewerkschaften, die der taz vorliegt. Allerdings, so heißt es in dem Papier mit dem Titel „Berlin 2002: Zur Wiedergewinnung der politischen Handlungsfähigkeit“, gelte das nur, wenn der Senat von seiner Sparpolitik abrückt und sich darauf konzentriert, die Erosion im industriell-gewerblichen Bereich zu stoppen und gleichzeitig Kompetenzzentren in Wachstumsbereichen aufzubauen. Finanziert werden soll das zu zwei Dritteln durch Einsparungen über einen Umbau des öffentlichen Sektors, zu einem Drittel über eine Teilentschuldung des Landes durch den Bund.

Die Experten sehen zwei Szenarien für das Jahr 2006: Wenn der rot-rote Senat weiter spart und auf wirtschaftspolitische Interventionen verzichtet, schrumpft die Berliner Wirtschaft um mindestens 2 Prozent und verliert dabei weitere 100.000 Arbeitsplätze. „Einfache, drastische Ausgabenkürzungen lösen nicht nur keine Budgetprobleme, sie zerstören die produktive Basis des öffentlichen Haushalts“, sagte Stephan Krüger, Mitautor der Studie, der taz. Zudem würden substanzielle Probleme wie die Krise der Berliner Bankgesellschaft nicht ernsthaft angepackt. Krüger: „Man hätte für Teilbereiche des Konzerns Insolvenzen andenken müssen, um die Gläubiger mit an den Verlusten zu beteiligen.“

Hinzu kämen Risiken vor allem bei den öffentlichen Wohnungsgesellschaften. Alle 17 zusammen haben nur knapp 3 Milliarden Euro Eigenkapital – und die Einnahmen sind prekär: Zwar liegt die Leerstandsquote nur bei 6 Prozent, bei den Mieteinnahmen gibt es aber eine Unterdeckung von 212 Millionen Euro – die Gesellschaften lassen Mieter, die nicht zahlen können, teilweise weiter die Wohnungen nutzen, damit diese nicht verfallen. Zugleich sind die Personaletats überbesetzt – die Gesellschaften wurden gerne genutzt, um Leute aus politischen Positionen zu versorgen. Ohne öffentlich gestützte Kredite stehen einige der Unternehmen inzwischen kurz vor der Insolvenz.

Das Alternativszenario der Arbeitsgruppe sieht so aus: Mit rund 250 Millionen Euro könnte der Bestand an Industrie und Gewerbe gesichert werden. Dazu bedürfe es eines gemeinsamen Frühwarnsystems von Unternehmen, Banken und Wirtschaftssenat mit dem Ziel, eingreifen zu können, bevor eine Insolvenz eingetreten ist. Für kleine und mittlere Unternehmen müsse eine Sanierungsbeteiligungsgesellschaft eingerichtet werden. „Die kann so aussehen wie der nordrhein-westfälische Phoenix-Turn-around-Fonds“, schlägt Krüger vor. Dieser vom Land gestützte Fonds sammelt Wagniskapital und unterstützt damit – und mit Management-Know-how – Unternehmen in der Krise, wenn diese eine klare Marktstrategie, eine ausbaufähige Wettbewerbsposition und einen angemessenen 3-Jahres-Plan vorweisen können.

Daneben sollen so genannte Cluster in Wachstumsbranchen wie Verkehrstechnik, Informationstechnik, Medizin- und Biotechnologien und Medien entstehen – alles Bereiche, in denen Berlin laut Krüger Potenzial hat, aber keine gezielte Politik betreibt. So gebe es 200 Unternehmen mit rund 24.000 Beschäftigten sowie verschiedene universitäre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in der Verkehrstechnik. Hier könne Berlin nicht nur für eine Vernetzung sorgen und den Standort so für neue Investoren attraktiver machen, sondern durch verstärkte Nachfrage etwa nach Telematik und Verkehrslogistik auch direkt Innovationen vorantreiben. Gleichzeitig profitierte man politisch davon, dass sich die Verkehrsbelastung verringert. Die Arbeitsgruppe rechnet mit Kosten von insgesamt rund 500 Millionen Euro.

„Aber der Senat kommt auch nicht drum herum, die Risiken im Haushalt zu minimieren“, so Krüger. Bei der Bankgesellschaft müsse man dazu die EU-Entscheidung zu den Beihilfen abwarten. Sollten die Brüsseler Einspruch einlegen, eröffne das die Chance, die Insolvenzfrage neu zu stellen. Ansonsten müsse sich das Land selbst an die Sanierung machen. Grundverkehrt sei jedenfalls der aktuell vorangetriebene Teilverkauf, da die Verlust bringenden Bereiche ohnehin unverkäuflich seien. Für einfacher halten die Ökonomen die Sanierung der öffentlichen Wohnungsgesellschaften: Sie schlagen vor, sie unter einer zentralen Holding oder vier Dachgesellschaften zusammenzufassen. Um die Einnahmen zu steigern, könne man leer stehende Wohnungen sozialen Projekten zum Betriebskostenpreis überlassen.