fundgrube
: Recycled Freeway Bags

Restmaterialien zu Kultobjekten

Die Einladung sah aus wie ein Kassenbon und auch eine Taschenpräsentation von Freitag am Samstag, dem 6. Januar 1996, im „Seniorentanz“ am Weinberg tönte einigermaßen kurios. Ich hatte damals gerade eine deftige Steuernachzahlung hinter mich gebracht, und auch die Kreditkartenabrechnungen meines USA-Aufenthaltes schienen nicht enden zu wollen. So war ich eher aus Neugier denn mit der Absicht hingegangen, ein Stück für stolze 150 Mark zu kaufen. Doch das Zögern dauerte vielleicht fünf Sekunden, nachdem die rote Tasche und ich uns kennen gelernt hatten. Seitdem musste ich mir gefallen lassen, für einen Boten der Zeitung Freitag gehalten zu werden.

Freilich können nur Unwissende so etwas äußern. Denn die Fahrradtaschen der Schweizer Daniel und Markus Freitag waren von Beginn an Kult. Dass sich das nicht geändert hat, nahm der Schweizer Verlag Lars Müller zum Anlass, nun eine umfangreiche Darstellung über die „Individual Recyled Freeway Bags“ herauszugeben.

Die Erfolgsstory, die hier geschickt in Text, vor allem aber in Bild aufbereitet wurde, speist sich aus mehreren Quellen. Einmal die produktive Verwertung der Restmaterialien Lkw-Planen, Fahrradschläuche und Autogurte; zum Zweiten, dass dank der unterschiedlichen Schriftzüge auf den Planen keine Tasche der anderen gleicht (wie im Übrigen auch jedes Buch einen individuellen Buchrücken aus dem Planenmaterial hat); und drittens, weil bereits 1996 damit begonnen wurde, dass sich der Kunde seine individuelle Tasche im Internet aussuchen konnte.

Die beiden – als Dekorateur bzw. Grafikdesigner ausgebildeten – Brüder Freitag waren Entrepreneure der ersten Stunde, die die Aufgaben Gestaltung und Unternehmung nicht voneinander trennen wollten. Was inzwischen geläufig ist, gerade im Bereich Design, war Mitte der 1990er-Jahre noch eine mutige Aktion. Der Erfolg der Taschen aus der Züricher Szene (Berlin war der erste Auslandstrip, wie in den „Freitag Milestones“ zu lesen ist) hat inzwischen unzählige Nachahmer auf den Plan gerufen. Die Verbreitung des Originals zu toppen, wird aber nicht einfach sein: Bis September 2001 waren rund 80.000 Taschen produziert worden. MIKAS

„Freitag – Individual Recycled Freeway Bags“. Hrsg. von Lars Müller. Text englisch, 492 Seiten, 800 Abb., 58 €.Freitag Taschen in Berlin u. a. bei: Betty Bund, Oderberger Str. 6, Berlin-Prenzlauer Berg; Superfly, Alte Schönhauser Straße 47, Berlin-Mitte