auf der alm, da gibt’s koa sünd (Teil 1)
: taz-Sommerreporter JOSEF WINKLER wartet auf die Kühe, die nach Hause kommen

Der Ursprung der Sumpfkuh und Begrüßung durch das Personal

Das Urrind war eine Sumpfkuh. Anders als etwa bei Goldhamster und Pferd spielte sich die Entwicklungsgeschichte des Rindviehs in Urweltregionen ab, in denen absurd überhöhter Wasserverbrauch scheinbar „kein Ding“ war. Während Pferdchen und Hamster in ihren Wüsten dürsteten, stand die Urkuh in der Moorwiese, süffelte vor sich hin und erwarb sich einen Verdauungsapparat von erstaunlicher Ausscheidefreudigkeit. Jetzt kann man sagen: Na gut, die Evolution. Aber fünf Millionen Jahre später rächt sich so was halt bitter.

Sagen wir es so: Man braucht zum Entfernen von Goldhamstergeschäften keine kniehohen Gummistiefel. Ich habe zwei Paar davon. Ja, es ist wahr: Ich bin der Melker. Ich würde ja gern prusten, alle meine Freunde hätten mich für to-tal cra-zy erklärt, als ich im Frühjahr rumtratschte, ich wolle diesen Sommer wieder so verbringen wie den letzten: drei Monate Kühe betreuend in einer österreichischen Almhütte auf 1.500 Metern. Den Nachstellungen des Alltags entrückt, weit weg von Büro, Telefon und der unfreundlichen Kassiererin beim Tengelmann (und, äh, Kultur, Unterhaltung, Weltgeschehen sowie anständigen Sanitäranlagen).

Es ist so: Die meisten meiner Freunde haben mich wohl für einen faulen Hundsknochen erklärt. Jetzt kann man sagen: Na gut, fauler Hundsknochen. Aber man verkenne auch nicht die Tatsachen: Das hier ist nicht irgendwie ein bisschen Kühe tätscheln und hernach den Nachmittag in der Sonne liegen und Chet Baker hören. Dazwischen muss man ja noch Sozialkontakte pflegen, Selbstsuche treiben, hochkomische Kolumnen abfassen. Und nochmal ausmisten.

Zum besseren Verständnis meiner zugegeben nicht eben prekären Situation möchte ich Sie mit dem Standardtagesablauf auf der Hinterstockklaus-Hütte vertraut machen. Geht so: Morgens um vier Blick aus dem Fenster, ob die Kühe, die über Nacht bisweilen in Weidegründe vordringen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, nach Hause gekommen sind und draußen dösen. Falls ja: Unbedingt noch eine Stunde schlafen. Falls nein: regnet es wahrscheinlich, da bleiben sie immer weg. Rein in Gummistiefel und Dunkelheit. Kühe nach mehr oder weniger aufreibender Suche stellen, tätscheln bzw. Wutanfall unterdrücken. Heimeskortieren und melken (maschinell, danke). Sechs Kühe, ein Melkzeug; zwei Kälber zu tränken. Dazwischen: tätscheln, kraulen. Dann Vieh raus, Melkzeug waschen, Stall putzen. Jetzt können Sie Tierbeobachtungen machen, einnicken oder eine schöne Chet-Baker-Platte raussuchen. Oder einen alten Golf 900 Höhenmeter ins Tal fahren und die Shoppingmöglichkeiten nutzen. Die Rückfahrt wird – je nach Anzahl der geladenen Weizenkleie-Säcke – im ersten bis zweiten Gang absolviert. Oben die Rinder zur Nachmittagsruhe einlassen, hernach in der Sonne liegen und Chet Baker hören. Am Abend noch mal melken, tätscheln, waschen, ausmisten. Und mal eine andere Platte.

Sehe ich Sie vor freudiger Erregung beben? Ganz recht: Der Sommer ist gerettet. Spektakuläre Panoramen! Nette Einheimische! Eigenartige Einheimische! Groteske Auswärtige! Brauchtum! Musik weit über Zimmerlautstärke! Alpin-Action! Verhaltensforschung! Landwirtschaft! Niedliche Kälber! Lebensgefahr! Geschichten von früher! Welche von grad eben! Und, wie gesagt: Dung! Es ist alles da. Bleiben Sie dran, dann bleib ich oben.