„Zoos sind wie die Fußball-Bundesliga“

Ist die Pandabärin Yan Yan endlich schwanger? Mögen die Königspinguine ihr neues Gehege? Warum stinken Lieblingstiere? Im Sommer gibt es in Berlin kaum wichtigere Fragen. Die Antworten weiß Jürgen Lange. Er hat soeben sein Amt als Zoodirektor angetreten und die taz durch die Gehege geführt

Interview von JÖRN KABISCH
und PLUTONIA PLARRE

Im neuen Pinguinhaus ist es kühl. Im Gehege liegt Eis. Die Gruppe von Königspinguinen steht still und mit eng angelegten Flügeln da.

taz: Herr Lange, die sehen aus, als würden sie frieren.

Jürgen Lange (lacht): Für die Tiere ist die Temperatur absolut normal. Die Flügel hängen immer runter, wenn sie nicht gerade schwimmen. Es wäre ein bisschen anstrengend, sie immer horizontal zu halten.

Wie kalt ist denn das Wasser?

Sechs Grad.

Was, so warm?

Ja, das ist Antarktis-Temperatur. Bei Sonnenschein bin ich da teilweise so rumgelaufen wie jetzt. (Er zeigt auf sein kurzärmliges schwarzes Polohemd). Im Winter ist es natürlich extrem kalt.

Erzählen Sie uns doch mal von der Antarktis. Wann waren Sie zum ersten Mal da?

Vor zwei Jahren. Das nächste Mal fahre ich im November hin.

Als Zoodirektor?

Nein, als Reiseleiter. Das mache ich im Urlaub. Beim ersten Mal habe ich leider keine Königspinguine gesehen. Die leben nämlich nicht auf der antarktischen Halbinsel. Diesmal fahren wir aber über Falkland, wo es große Königspinguin-Kolonien gibt.

Eine aufgeregte ältere Dame mischt sich ein: Kinder würden immer über das Geländer in das Becken der Humboldt-Pinguine greifen. „Das schadet doch den Tierchen?“

Der Zoodirektor beruhigt: „Das macht nichts. Das ist höchstens für die Leute schlecht, wenn ihnen die Pinguine in die Hand hacken. Das tut weh.“

Von jemanden, der seit 25 Jahren ein Aquarium leitet, erwartet man, dass er in seinen Ferien Tauchen fährt und nicht in die Antarktis.

Ach, wissen Sie, das tue ich schon auch. Aber ich schnorchele dann lieber.

Fische sind also gar nicht Ihr Ding?

Bis ich 1970 eine Stelle im Aquarium in Stuttgart angenommen habe, habe ich mich nie für Fische interessiert. Ich war auf Antilopen spezialisiert. Aber ich wollte einfach im Zoo arbeiten. Ich habe mir gedacht, wenn du erst einmal im Aquarium bist, kannst du in den Zoo gehen. Bis ich gemerkt habe, Zoos sind wie die Fußball-Bundesliga. Du kannst nicht freiwillig wechseln. Du wirst eher verkauft, nur es gibt kein Handgeld. Ich war dann im Aquarium gefesselt. Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Gott sei Dank.

Warum?

Die Aquarien-Tierhaltung ist komplizierter als viele Säugetierhaltungen, weil man immer ein bestimmtes Wassermilieu schaffen muss. Ein Fisch muss das Wasser veratmen, es muss deshalb total okay sein. Insofern hängen unsere Tiere im Aquarium alle am Tropf. Aber nicht nur das macht die Sache interessant.

Sondern?

Ich kann für kleine Tiere den Lebensraum viel leichter nachgestalten. Versuchen Sie das mal bei Säugetieren. Ich kann einem Elefanten eine große Steppe bauen. Dann braucht er zwei Monate länger, um sie auszuräumen, aber er räumt sie aus.

Im Raubtierhaus ist es leer. Die Fütterung ist schon lange vorbei, die Tiere halten satt Siesta. Nur ein junger Löwe schubbert das Käfiggitter entlang.

Es gibt nur einen Herrscher hier im Zoo?

Unter den Löwen gibt es nur ein ausgewachsenes Männchen, das ist der Pascha. Oder man muss eine Harems- oder eine Bachelorgruppe haben, also nur Weibchen oder nur Männchen, aber das ist eigentlich nicht im Sinne des Zoos, der gewöhnlich auch züchten will.

Und wie wird bei den Löwen die Nachfolge geregelt?

Im Zoo meistens mit Anti-Baby-Pillen.

Das ist die Nachzucht. Und die Nachfolge?

In der Natur durch Kampf. Irgendwann beißt der Junge den Alten weg. Im Zoo macht das ein erfahrener Tierpfleger. Der weiß dann: Der Mann bringt es nicht mehr. Der alte Löwe bekommt dann sein Gnadenbrot.

Akzeptiert der das?

Er muss es zwangsläufig.

Bei Menschen wäre das ja auch manchmal ratsam. Wir erinnern uns an den alten Direktor Heinz-Georg Klös, der nun ja im Aufsichtsrat noch ganz heftig versucht, die Geschicke des Zoos mitzubestimmen.

Ich sehe das nicht so. Der Aufsichtsrat besteht aus zwölf Leuten. Da kann einer alleine nicht wie bei den Löwen sagen, was passiert.

Aber es heißt, Klös wollte seinen Sohn Heiner unbedingt auf den Direktorensessel setzen. Bei der Belegschaft hätte das so großen Unmut ausgelöst, dass der Posten öffentlich ausgeschrieben wurde.

Bei einer Nachfolge gibt es immer zwei Möglichkeiten: Entweder man setzt auf Evolution oder auf Revolution. Revolution heißt: Man holt neues Blut von außen, bei Menschen also neue Ideen, geht dann aber das Risiko ein, dass man den Betreffenden nicht so gut kennt. Evolution heißt: Man nimmt jemanden, der aus dem Betrieb herauskommt. Der Aufsichtsrat hatte seine Gründe, warum er sich für Klös junior entschieden hat. Damit kamen einige der Kollegen nicht klar. Ich finde es nach wie vor verkehrt, dass man diese Diskussion in die Öffentlichkeit getragen hat. Aufgrund des Drucks wurde dann entschieden: Okay, wir wollen die Revolution.

Nun haben Sie den Zuschlag bekommen. Sie sind in diesem Zoo groß geworden. Kann man da von Revolution sprechen?

Ich bin hier nicht groß, sondern alt geworden. Und wenn man das Aquarium leitet, hat man schon einige Distanz zu dem Betrieb im übrigen Zoo. Wir haben ein ganz anderes Besucherspektrum und machen auch unsere Pressearbeit alleine. Im Gegensatz zu einem Kandidaten von außen kenne ich aber die Animositäten der letzten Jahre. Ich weiß, wann ich auf den Tisch hauen muss und auf welche Befindlichkeiten ich Rücksicht nehmen muss. Außerdem kann ich völlig unbelastet an die neue Aufgabe herangehen, weil ich in keinster Weise in die Querelen verstrickt war. Der Betrieb muss endlich nach vorne schauen.

Sie sind bereits 60. Sehen Sie sich als Interimschef?

Nein. Ein Zoodirektor wird immer nur auf fünf Jahre gewählt. Insofern ist jeder, der neu anfängt, ein Interimschef. Hinzu kommt, wir sind eine Aktiengesellschaft, die nicht an Pensionsgrenzen gebunden ist.

Also ist eine Verlängerung denkbar.

Das entscheiden der Aufsichtsrat und ich nach fünf Jahren.

Was wird sich unter dem neuen Zoodirektor Lange ändern?

Angedacht sind längere Öffnungszeiten in den Sommermonaten. Auch der Service soll verbessert werden. Ich denke an Führungen mit den Tierpflegern. Die können so viel erzählen. Und vielleicht machen wir auch Kulturnachmittage, russische, türkische, italienische …

Für eine Familie mit schmalem Geldbeutel ist der Eintritt ganz schön teuer.

Für eine Familie ist der Eintritt nicht billig, da gebe ich Ihnen Recht. Aber wenn eine Familie ins Kino geht, kostet das auch. Im Bundesvergleich liegen wir mit 7,50 Euro pro Erwachsenem im absoluten Mittelfeld. Es gibt Zoos, die nehmen 18 Euro. Und einen Feierabend- oder Mondscheintarif haben wir auch. Probeweise ist an jedem Ersten des Monats länger geöffnet. Da gibt es ab 16 Uhr Karten für vier Euro.

Finanzsenator Sarrazin hat im Frühjahr laut darüber nachgedacht, einen der beiden Zoos zu schließen.

Für den Erhalt beider Zoos gibt es viele Argumente. Der Westberliner Zoo als altes, traditionsreiches Unternehmen ist so fest verankert, dass ich denke, dieser Senat würde nicht wiedergewählt, wenn er ihn schließen wollte. Für den Tierpark in Friedrichsfelde spricht, dass er von den Ostberlinern im wahrsten Sinne des Wortes bis zur Wende mit eigenen Händen aufgebaut wurde. An den Tierhäusern haben zum Beispiel Schulbrigaden mitgebaut. Insofern kann der Senat es sich auch nicht leisten, den Tierpark zu schließen.

Dennoch taucht immer wieder die Frage auf, ob sich Berlin zwei Zoos leisten kann?

Der Tierpark ist schon seit 1989 ein Tochterunternehmen des Zoos. Man kann vielleicht mehr Dinge gemeinsam regeln, trotzdem braucht man vor Ort weiterhin eine Leitungsebene. Die Zukunft liegt darin, die Unterschiede beider Zoos deutlicher zu machen. Es ist leider immer noch so: Ost geht zu Ost und West geht zu West.

Wie könnte diese Zukunft konkret aussehen?

Im Innenstadt-Zoo kann man wetterunabhängiger werden als in Friedrichsfelde. Hier können wir auf kleiner Fläche solche High-Tech-Angebote machen wie das Pinguin- oder das Flusspferdhaus. In Friedrichsfelde muss man dafür die viele freie Fläche nutzen und den Zoo zum Erlebnis für einen ganzen Tag machen.

Vor dem Käfig der Pandabären. Yan Yan sitzt in einer Ecke und knabbert an einem Bambuszweig. Bao Bao ist nicht zu sehen.

Sagen Sie mal, Yan Yan ist doch ein bisschen dicker geworden?

(Lacht) Wenn Sie das so sehen, dann ist das gut.

Wann könnte man denn bei einer Schwangerschaft überhaupt was sehen?

Überhaupt nicht. Die Bären sind so klein, wenn sie auf die Welt kommen – vielleicht so groß wie Ratten. Da sieht man höchstens etwas am Tag vor der Geburt, zum Beispiel dass sich die Scheide der Mutter öffnet. Um heute zu wissen, ob Yan Yan trächtig ist, müsste man Blut- und Hormonuntersuchungen machen. Und dazu müsste man das Tier betäuben.

Das könnten Sie doch nun anordnen?

Nein, nur um unseren Wissensdurst zu stillen, mache ich das nicht. Außerdem: Ich sehe mich nicht als Diktator, der sagt: So, das machen wir jetzt, sondern das wird im Team entschieden.

Angenommen, Yan Yans Besamung Mitte April hätte funktioniert, wann wäre der Nachwuchs zu erwarten?

Nach rund fünf Monaten, also im September. Wir müssen einfach abwarten. Aber das ist es ja auch, was uns die Besucher bringt. Die so wie Sie gucken und meinen, sie hätten was gesehen. Für den Fortbestand der Art wäre es ungemein wichtig, dass es mit der Fortpflanzung irgendwann mal klappt. Ich persönlich fürchte aber, dass das Weib gar nicht in der Lage ist, aufzunehmen.

Haben Sie eigentlich ein Lieblingstier?

Für einen Zoodirektor ist das liebste Tier immer das Problemkind.

Und was ist zurzeit ihr Problemkind?

Zurzeit das Amt, das ich übernehme.

Stellen Sie sich vor, der Zoo müsste geschlossen werden. Welches Tier würden sie nach Hause mitnehmen?

Mein erster Gedanke war ein Königspinguin, aber das Tier hat zwei Nachteile. Es stinkt wahnsinnig nach Fisch und braucht es kalt. Ein Tintenfisch braucht warmes Wasser, zum Beispiel ein Nautilus, das ist ein kleiner Tintenfisch aus der Tiefsee. Da müsste ich nur ein Becken anlegen, in dem ich auch noch baden kann.

Bleibt noch eine Frage. Finden Sie, dass der Bär in diesen Zeiten noch das geeignete Wappentier für Berlin ist, so ein gefräßiger Vielfraß …

… der den ganzen Winter über schläft, nichts tut und also auch nichts braucht. Doch, der Bär passt ganz gut.