Erzwungenes Glück

Serena Williams entthront ihre ältere Schwester Venus mit dem 7:6, 6:3 im Finale als Königin von Wimbledon

WIMBLEDON taz ■ Für Menschen mit Sinn fürs Traditionelle war das Finale ein herber Schlag ins Kontor. Die Herzogin von Kent war nicht da, zum ersten Mal seit 24 Jahren. Ihrer Königlichen Hoheit, die Martina Navratilova auf die Wange küsste, Jana Novotna in den Arm nahm und Steffi Graf von Herzen gratulierte, geht es nicht gut. Es erschien also an der Seite des Herzogs von Kent dessen Schwester, Prinzessin Alexandra, und wenn deren Aufmachung auch ähnlich war wie die der Schwägerin sonst ist – es war nicht dasselbe. Das fiel auch Serena Williams auf, die meinte: „Venus hat gesagt, ich muss einen Knicks machen, wenn ich die Trophäe von der Herzogin entgegennehme, aber ich glaube, wir hatten heute eine Prinzessin. Auf jeden Fall hab ich aber den Knicks vor dem Kerl vergessen.“ Der Kerl war der Herzog, der Präsident des exklusiven, des einmaligen All England Clubs.

Mit ihrem Sieg im Finale der Championships 2002 gehört Serena Williams jetzt zu diesem Club, und wenn man ihr glauben darf, dann findet sie das unfassbar gut. In Wimbledon zu gewinnen, sagt sie, das sei ihr großes Ziel gewesen in diesem Jahr, egal was sonst noch passiert. „Ich wollte das unbedingt. Ich wollte ein Teil von so viel Prestige und Geschichte sein.“ Zweimal hat sie zugesehen in den vergangenen Jahren, wie die 15 Monate ältere Schwester diesen Titel gewann und wie die danach mit einem seligen Lächeln der Welt die große Schale präsentierte, und genau das wollte sie auch.

Diesmal war sie es, die fast platzte vor Stolz und Glück. Und was es bedeutet, das alles zu verlieren, zeigte ein Blick in Venus’ trauriges Gesicht; Niederlage bleibt Niederlage, egal wie nahe man der Siegerin steht. Zu gern hätte sie den dritten Titel in Folge gewonnen wie zuletzt Steffi Graf und davor Martina Navratilova (die schaffte in Serie sogar sechs), und auch das hat mit Tradition zu tun. Es gibt kein Turnier auf der Welt, bei dem auf solche Dinge mehr Wert gelegt wird, und es gibt kein Turnier, bei dem der Ruhm des Siegens länger hält. Wie oft haben sie von ihrem Vater Richard gehört: Passt auf, eines Tages spielt ihr im Finale in Wimbledon; einen weiteren Weg als den aus dem Getto von Compton/Los Angeles auf Wimbledons Centre Court kann es kaum geben.

Und wie schon vor vier Wochen beim Finale in Paris gibt es keinen Zweifel, dass die Richtige gewonnen hat. Serena dominierte das Spiel (7:6, 6:3) mit Leidenschaft, sie hatte die besseren Nerven in brenzligen Situationen, sie riskierte mehr, schlug besser auf, und gegen ihren unbändigen Willen war nichts zu machen. Es verrät eine Menge, wenn sie sagt: „Ich glaube nicht an Glück. Ich geh da raus und sorge dafür, dass was passiert.“

Das hat sie in diesem Jahr nun schon so oft getan, dass sich der Eindruck aufdrängt, die mächtige Kleine werde auf Dauer die Nummer eins bei den Williams sein. Doch die sieht das anders. „So wie Venus manchmal spielt, ist es einfach unmöglich, sie zu schlagen. Beim Training hab ich hin und wieder sogar das Gefühl, dass ich als Partnerin nicht gut genug bin.“ Nach Grand-Slam-Titeln führt Venus noch immer; sie hat vier (Wimbledon und US Open 2000 und 2001), Serena hat nun drei (US Open 1999, French Open und Wimbledon 2002), und mit diesem kleinen Wettspiel wird es weitergehen, wenn sich die Konkurrentinnen nicht mächtig sputen.

Die Dominanz der Schwestern ist vielen unheimlich, und sicher wäre es schön, Alternativen zu den beiden zu haben. Doch über fehlende Qualität oder mangelnden Unterhaltungswert der Familienduelle kann sich diesmal niemand beschweren. Das Finale in Wimbledon war das fünfte gemeinsame Spiel bei einem Grand-Slam-Turnier, das neunte insgesamt, und es war mit Abstand das beste bisher.

Wenn das Publikum jetzt noch lernt, die Schwestern nicht als Einheit zu sehen, sondern sie als das zu nehmen, was sie auf dem Platz sind – Konkurrentinnen, die mit aller Macht gewinnen wollen, die eine blond gefärbt, die andere naturschwarz und auch sonst nicht allzu schwer zu unterscheiden –, dann steht dem Erfolg der weltweiten Williams-Show nichts mehr im Wege. Mit einer Attraktion wie Serena zumal, die sich mit blitzenden Augen so beschreibt: „Ich bin aufregend, ich lache viel, ich gewinne viel, und ich bin wirklich sexy.“ Sonst noch Fragen? DORIS HENKEL