Einer fährt vorneweg

In Abwesenheit von Jan Ullrich gibt es nur einen Favoriten auf den Sieg bei der Tour de France: Lance Armstrong. Den Prolog gewinnt er so souverän, wie er alle Verdächtigungen vom Tisch wischt

von SEBASTIAN MOLL

Die Mannschaft des Berliners Jens Voigt, deren grüne Hemden das Logo der französischen Raiffeisenbank Crédit Agricole schmückt, hatte bei der Tour 2001 eine muntere Rolle gespielt. Das Mannschaftszeitfahren gewonnen, sieben Tage lang das gelbe Trikot getragen und nur um ein Haar das grüne an Erik Zabel verloren. In diesem Jahr hat die potente und angriffslustige Truppe aus Toulouse mit Christophe Moreau, dem Vierten der Tour 2000, auch noch einen Fahrer dazu bekommen, der das Zeug hat, bei einer Rundfahrt ganz vorne zu landen.

Mit Stuart O’Grady als Anwärter auf das grüne Trikot und Christophe Moreau als Anwärter auf Gelb ist Crédit Agricole eigentlich in der gleichen Lage wie weiland Telekom mit Zabel und Ullrich. Doch anders als Ullrich wird Moreau wohl keinen Versuch unternehmen, Lance Armstrong ernsthaft zu attackieren. „Aus meiner Sicht wird in diesem Jahr einer vorneweg fahren, und der Rest wird sich um Platz zwei streiten. Ulle war der Einzige, der Armstrong attackieren konnte“, meint Jens Voigt. „Christophe kann aufs Podium kommen, aber Armstrong anzugreifen, hat wenig Sinn.“

Es scheint, als gäben sich in diesem Jahr die Konkurrenten von vornherein der Übermacht des 31-jährigen Texaners geschlagen, die auf diese Art zur selbst erfüllenden Prophezehung werden dürfte. Armstrong selbst gibt zwar – ganz Sportsmann – vor, großen Respekt vor den spanischen Fahrern zu besitzen, allen voran Igor González de Galdeano und Santiago Botero, die ihn in diesem Jahr jeweils bei einem Zeitfahren besiegt haben. Doch mit solchen Komplimenten möchte er wohl in erster Linie seine eigene Wachsamkeit schärfen und das Publikumsinteresse wachhalten. Tief in seinem Inneren schaut er der Tour de France sehr gelassen entgegen: „Mir fallen nicht viele Dinge ein, die mir Sorgen bereiten“, gibt er zu. Eine Einschätzung, die er mit seinem Sieg beim Prolog in Luxemburg am Samstag eindrucksvoll unterstrich. Die gestrige erste Etappe gewann überraschend der Schweizer Rubens Bertogliati, der mit einem kurzen Antritt auf dem letzten Kilometer die gesamte Sprinterelite um ihren Showdown brachte. Erik Zabel wurde Zweiter.

Den Nimbus der Unangreifbarkeit hat sich Armstrong seit seinem ersten Tour-Sieg 1999 allerdings nicht nur auf sportlichem Gebiet erarbeitet. So lange seine Gegner versuchen, ihm an den großen Alpen- und Pyrenäenpässen beizukommen, so lange versuchen auch Journalisten wie Staatsanwälte, den Geheimnissen von Armstrongs Erfolgsgeschichte auf die Schliche zu kommen. Zu zuckersüß schmeckte vielen Armstrongs Auftritt als Retter der Tour und des Radsports, als der blitzsaubere Held, der mit einem Streich den nach den Razzien und Skandalen von 1998 böse ramponierten Ruf der Tour wieder herstellt.

1999 entdeckte Le Monde bei ihm einen positiven Dopingbefund auf Kortison. Armstrong kommentierte das Gerücht nicht, bis er das gelbe Trikot über die Pyrenäen gerettet und den Sieg gesichert hatte. Dann blies er bei einer Pressekonferenz in Pau mit wasserdichten Fakten und einer blendenden Rhetorik „Mr. Le Monde“, wie er ironisch seinen Widerpart nannte, vom Parkett. 2001 gelang ihm an selber Stelle ein Punktsieg gegen einen englischen Reporter, der Armstrongs Verbindung zum in Italien wegen Sportbetrugs unter Anklage stehenden Sportarzt Michele Ferrari aufgedeckt hatte. Sogar, dass der Golfspezialist nicht zu den British Open entsandt wurde, wusste Armstrong und insinuierte vor 200 Kollegen, dass sein Angreifer wohl nicht einmal das Vertrauen seiner Vorgesetzten genieße.

Im November 2000 hatte es Armstrong sogar mit der Pariser Staatsanwaltschaft zu tun bekommen. Doch auch da zeigte der Champ sich gewappnet. Die Anklage beruhte auf Aussagen eines französischen Fernsehteams, das gesehen haben wollte, wie Betreuer von US Postal medizinischen Abfall an einer Autobahnraststätte entsorgen wollten. Im Mai diesen Jahres lud der Leiter der Ermittlungen, François Franchi, Armstrong und seine Mannschaft zu Untersuchungen in ein Pariser Labor vor. Armstrong erschien nicht und so musste die Akte geschlossen werden. „Mr. Armstrong kooperiert nicht, das ist sein Recht“, musste sich Franchi geschlagen geben, „deshalb müssen wir die Ermittlungen einstellen.“

„Die Untersuchung war ein Witz“, sagte Armstrong selbstzufrieden, nachdem er aus Paris keine Belästigungen mehr zu befürchten hatte. So einfach kommt man einem wie ihm nicht bei. Kollege Ullrich agiert da weitaus unbedarfter, und so wusste Armstrong in Luxemburg zu dessen Schicksal nur zu sagen: „Das ist unglücklich für ihn, unglücklich für sein Team, unglücklich für den Radsport.“ So ungeschickt wie Ullrich stellt sich ein wahrer Profi eben nicht an.