Mercosur hält zu Argentinien

Beim Gipfeltreffen der sechs südamerikanischen Staaten forderten die Regierungschefs von den Industrieländern mehr Solidarität mit dem krisengeplagten Land. Argentinische Wirtschaftspolitik hat auch die regionale Integration behindert

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

„Solidarität mit Argentinien“ forderten die Präsidenten der Mercosur-Staaten am Freitag zum Abschluss ihres Gipfeltreffens. Der Appell richtete sich vor allem an die Industrieländer des Nordens, die über die Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds maßgeblich die Zukunft des Landes mitentscheiden. „Mit Sorge“ verfolge man das „derzeitige Verhalten des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems“, das eine sozial ausgewogene Entwicklung erschwere, heißt es in der Abschlusserklärung der Staatschefs aus Brasilien, Argentinien,Uruguay und Paraguay. Die assoziierten Staaten Chile und Bolivien schlossen sich an. Chiles sozialdemokratischer Präsident Ricardo Lagos räumte aber auch ein, die Regierenden in der Region hätte sich „manchmal“ mehr um die „Defizite in den Bilanzen“ gekümmert als um die „Defizite bei der sozialen Partizipation“.

Elf Jahre nach seiner Gründung ist der Mercosur noch weit von einer Freihandelszone entfernt. Zwar hatte sich der Handel zwischen seinen Mitgliedsländern von 1991 bis 1997 vervierfacht. Doch seit dem Beginn der argentinischen Rezession 1998 und der Abwertung des brasilianischen Real Anfang 1999 befindet sich die Zoll- und Handelsunion in einer Dauerkrise. 2001 stand der ultraliberale Kurs des argentinischen Wirtschaftsministers Domingo Cavallo einer stärkeren Integration entgegen.

Auch wenn die kleineren Partner Uruguay und Paraguay besonders leiden, steht und fällt der Mercosur mit den bilateralen Beziehungen zwischen Argentinien und Brasilien. Bis zur Aufhebung der Peso-Dollar-Parität Anfang dieses Jahres waren argentinische Waren überteuert, nun ist es umgekehrt: Im ersten Halbjahr 2002 exportierte Brasilien 66 Prozent weniger nach Argentinien als im Vorjahreszeitraum. Entspechend frustriert sind die brasilianischen Unternehmer. José Augusto de Castro vom brasilianischen Außenhandelsverein meint, solange die Rezession in den Nachbarländern anhalte, solle Brasilien auf eigene Faust Handelsabkommen mit der EU und anderen Ländern anstreben. Dagegen hat sich die Regierung bisher verwahrt, auch aus strategischen Gründen.

Als kleinen Erfolg kann der brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso auf die jetzt unterzeichnete Vereinbarung verweisen, wonach der Export argentinischer Autos nach Brasilien erleichtert werden soll. Im Gegenzug reduziert Buenos Aires die Handelsbarrieren für Textilien, Hühner und Schweine aus dem Nachbarland. Bis zum Ende seiner Amtszeit im Dezember will Cardoso am Status quo festhalten. Zu einer Weichenstellung kommt es frühestens nach dem Machtwechsel in beiden Ländern. Wer am Río de la Plata den schwachen Präsidenten Eduardo Duhalde beerbt, ist völlig offen, spätestens im Mai 2003 soll es so weit sein.

Die entschiedensten Verfechter einer Regionalintegration finden sich auf der Linken. Parallel zum offiziellen Gipfel hatte Aníbal Ibarra, der Bürgermeister von Buenos Aires, neun Kollegen aus Großstädten der Region eingeladen. Für die linken Amtsträger ist die derzeitige Wirtschaftskrise „keine zyklische Depression, sondern eine Krise des Wachstumsmodells“ schlechthin. Wie sie sieht Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva von der brasilianischen Arbeiterpartei PT im Mercosur eine strategische Alternative zu der von Washington geplanten Freihandelszone von Alaska bis Feuerland. Auch bei den Argentiniern steigt der Mercosur wieder im Kurs. Nach einer neuen Umfrage favorisieren 40 Prozent der Bevölkerung eine stärkere Hinwendung zu den Nachbarn. Nur 16 Prozent wollen nach den neoliberalen Neunzigerjahren am liebsten auf die USA setzen.