Cinderella-Komplex

Die Ausstellung „Magische Maschinen“ lockt mit Zartheit, stößt brüsk ab und will nur das Eine: die Entzauberung

Nadeln ragen in den Raum, aufgehängt an senkrechten Drähten. Sie erzittern, wenn man ihnen zu nahe rückt, wollen sich wehren, drohen zu pieksen. Diese fragile Arbeit von Paola Pivi ist eine der „Magischen Maschinen“ die derzeit im Oldenburger Edith-Russ-Haus für Medienkunst gezeigt werden.

Gemeinsam mit dem CERN- Laboratorium in Genf und dem London Institute entwickelte Pivi “C“ – eine Skulptur zwischen Physik und Design. Photozellen fangen den Bewegungsimpuls des Zuschauers, der hier Akteur wird, auf. Die Nadeln reagieren wie ein kleiner, nervöser Guppieschwarm, der plötzlich die Richtung wechselt. Fragilität und Wehrhaftigkeit – eine doppelbödige Botschaft. „C“, das ist der kunstgewordene Cinderella-Komplex; er lockt mit seiner Zartheit und stößt brüsk zurück.

Eine Herausforderung für die Tastsinne, die hier in ständigem Alarm sind, aber nichts ausrichten können, denn die Reaktion läuft photoelektrisch. Doch auch andere Sinne werden hier gelockt. Schon die Aufhängung der Nadeln erinnert an eine Partitur, das fein erklingende Klirren, wenn sie sich bewegen, ist jedes Mal ein kleine Symphonie, begleitet von der Choreographie der Bewegung.

Auch Monsieur Marcel Duchamp darf in Oldenburg seine Rotoreliefs zum Klingen bringen lassen. Die graphisch bearbeiteten Scheiben lassen, in Rotation gesetzt, dreidimensionale Bilder entstehen. Oder schaffen hypnotische Momente der Wahrnehmung, deren Zensurposten sie unterlaufen. So wollte es schließlich mal der Surrealismus.

Jedenfalls ist es ganz lustig, diese psychedelischen Skulpturen in Funktion zu sehen. Schon vor 70 Jahren brachte Marcel Duchamp Fragen der Wahrnehmung anders auf, als es in den klassischen künstlerischen Genres wie der Malerei möglich ist. Duchamp zeigte seine Rotoreliefs (1935/65) folglich erstmals auf einer Technikmesse.

Die Entmystifizierung von Kunst ist auch bei Steina Vasulkas “Allvision“ von 1976 ein aktiver Prozess. Eine spiegelnde Kugel ruht in der Mitte eines um sie rotierenden Balkens. An dessen Enden jeweils: Videokameras. Und auf zwei Bildschirmen jeweils die Bilder. So übersieht man über eine Verzerrung wie durch ein extremes Weitwinkel den ganzen Raum.

In den Siebzigern waren Themen wie Videoüberwachung noch nicht so brennend wie heute, daher erweist sich diese Arbeit als visionär. Und auch hier gibt ist wieder das Moment des aktiven Dechiffrierens, des „wie funktioniert das überhaupt“: Kunst ruft zur Emanzipation auf, dazu, die magischen Maschinen zu entzaubern und den eigenen Sinnendas Primat einzuräumen.

Marijke Gerwin

bis zum 8.9. Di-Fr 14-17, Sa,So 11-17 Uhr