Drei Farben: Grün

Auf der Museumsinsel ließ Gilberto Gil sein Vorbild Bob Marley hochleben und feierte Brasiliens Fußballerfolg. Unter den tropischen Bannern des Pop schaukelte sich sein Publikum in Freudentaumel

von DANIEL BAX

Gut, dass Brasilien Weltmeister geworden ist: Umso enthusiastischer wurden die Fahnen geschwenkt, die beim Konzert von Gilberto Gil einmal mehr Verwendung fanden. Eine Woche nach dem geglückten Finale, hätte der Weltstar aus Brasilien den Termin für sein Gastspiel kaum besser wählen können.

Gelb und blau, vor allem aber grün, das sind die tropischen Farben des Pop, unter denen man sich auf der Museumsinsel vereinen konnte wie sonst nur unterm Banner Jamaikas, das am Sonntagabend durchaus auch gepasst hätte. Mit Nationalismus hat das nichts zu tun: Brasilianer kann schließlich jeder sein, und Gott ist ja auch einer, wie man in Südamerika vermutet. Als Pop-Trikolore sind die brasilianischen Landesfarben vielseitig einsetzbar: Die Kellnerin am Caipirinha-Stand hatte sie sich als Kopftuch umgebunden, andere trugen sie als Mütze oder auf Fußballtrikots spazieren. Ihnen allen gab Gilberto Gil von der Bühne herab Zuspruch. „Brasil Penta Campeão“, feierte er den fünften Titelgewinn und erntete dafür erwartbaren Applaus.

Ebenso erwartbar, dass er mit seinem aktuellen Bühnenprogramm nicht auf allzu großen Widerstand stieß: Mit ein paar Bob-Marley-Liedern im Gepäck vermag schließlich noch der letzte Straßenmusiker sein Publikum zum Schunkeln zu bringen. Gilberto Gils jüngstes Album „Kaya“, und damit auch sein Konzertprogramm, besteht überwiegend aus altbewährten Marley-Hymnen, die jeder aus dem Stand mitzusingen in der Lage ist, und schon zu den ersten Takten dieser Erkennungsmelodien tanzten sich die ersten Hippie-Mädchen an der Seitenlinie warm.

Sich auf dermaßen ausgetretenes Terrain zu bewegen, das kann man eigentlich nur Gilberto Gil verzeihen. Denn Reggae war nachweislich ein großer Einfluss für ihn, neben Samba, Rock und den Rhythmen des brasilianischen Nordostens. Schon in den frühen 80ern nahm Gil ein Album mit den Wailers auf und ging mit Jimmy Cliff auf Tour; mit einer Coverversion von „No Woman, No Cry“ hatte er schon vor mehr als zwanzig Jahren in Brasilien einen Riesenhit. Am Ende ist selbst entschuldbar, dass seine heutigen Reggae-Interpretationen eher den Atem von Gute-Laune-Musik haben, als dass sie nach Rebel Music riechen: gut möglich ohnehin, dass das in Brasilien nicht so sehr als Gegensatz betrachtet wird.

Politisch ist Gilberto Gil schließlich selber. Seit er in den Sechzigern maßgeblich am musikalischen Aufbruch der Tropicalia-Bewegung mitwirkte und von der damaligen Militärregierung nach London ins Exil verjagt wurde, gilt er zu Hause als kulturelle Ikone. Nach dem Ende dieser gesellschaftlich lähmenden Epoche ging er in den späten Achtzigern selbst in die Politik und amtierte für ein paar Jahre als Stadtverordneter in seiner Heimatstadt Salvador da Bahia. Eine bewegte Biografie also.

Dass er gerade 60 geworden ist, sieht man ihm indes wirklich nicht an. Im knallroten Hemd raste Gilberto Gil über die Bühne wie ein Irrwisch, beiläufig stellte er eine seiner Töchter vor, die ihn als eine von drei Sängerinnen im Background begleitete. Souverän ließen er und seine Band dabei die Marley-Gassenhauer, deren Klasse er nur bestätigte, mit seinen eigenen Evergreens ineinander gleiten, und so schaukelte er das Publikum langsam, aber sicher in Begeisterungstaumel.

Zum Schluss kehrte er nochmals zum brasilianischen Lieblingsthema, dem Fußball, zurück. Wo denn in vier Jahren das Endspiel stattfände, „hier oder in München?“, fragte er und kündigte an, spätestens dann wiederzukehren. „Ich werde auch ganz still sein“, versprach er. Doch wer würde das wollen?