Der Traum vom lauschigen Plätzchen

Die Niederbarnimstraße 15 ist eines der letzten Häuser, das Bewohner in Selbsthilfe sanieren. Die Förderung solcher Projekte hat Rot-Rot radikal gekürzt

von SUSANNE VANGEROW

Schwer bepackt steht Georg zwischen Holzstapeln im Erdgeschoss der Niederbarnimstraße 15. Im Hintergrund schlägt ein Hammer auf Eisen. Georg klebt der Schweiß auf der Stirn. Betonstaub rieselt auf sein T-Shirt. Georg ist einer von vier Bauleitern des Selbsthilfe-Sanierungsprojekts in Friedrichshain. Zusammen mit 55 anderen Bewohnern und deren Kindern bringt er das heruntergekommene Gebäude in Eigenregie auf Vordermann.

Die 38-jährige Maria Schmidt steht mit hoch erhobenen Armen auf einem Tisch. Sie beizt den Stuck an der Decke ab. Behende springt sie herunter und führt nicht ohne Stolz durch das fünfgeschossige Eckhaus. „Schon seit zweieinhalb Jahren bauen wir hier“, erklärt Schmidt. Damals sei der Förderantrag bewilligt worden. Würde sich die Gruppe heute bewerben, hätte sie wenig Chancen auf Förderung. Denn der Senat hat die Mittel für „bauliche Selbsthilfe“ radikal gekürzt.

Auf rund 3,2 Millionen Euro wurden die Sanierungskosten in der Niederbarnimstraße taxiert. Ein Viertel davon müssen die Bewohner selbst aufbringen, den Rest spendiert das Land als Zuschuss oder Kredit. Doch weil Maria und ihre Mitbewohner keine 800.000 Euro rumliegen haben, müssen sie mit ihrer Muskelkraft ran.

Nach der Wende sei das Haus an die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain gefallen, erklärt Schmidt unterwegs. Die habe es später „quasi über Nacht verkauft, obwohl wir zuvor selber Interesse angemeldet hatten“. Die resolute Frau schüttelt den Kopf. Ein Bauunternehmer habe das Haus in Eigentumswohnungen umwandeln wollen. Mit einer Genossenschaft haben die Mieter ihr Haus zurückgekauft. „Der Bauunternehmer hat dabei noch einen dicken Profit gemacht“, ärgert sich Schmidt.

Dank der Fördergelder können die Bewohner nun ihr Haus selbst gestalten. Vorbei an der lackierenden Kerstin führt Maria in den halb fertigen Gemeinschaftsraum: „Hier wird immer Fußball geguckt“. Dann geht es hoch zur Dachterrasse, die ebenfalls allen Mietern offen steht. Rote Rosen blühen dort neben grünen Bierflaschen. „Ein lauschiges Plätzchen“, schmunzelt sie und tritt ans Geländer. Unten im Hof schuften Männer mit nackten Oberkörpern. Die Fassade ziert ein hellgelber Anstrich. „Wir haben vom Dach nach unten gebaut“, erzählt Schmidt. „Deshalb sind die oberen Wohnungen auch schon fertig.“

Unten bei Marion und Christel wird noch gebaut. Es riecht nach Holz und Lack. Die beiden verlegen gerade Dielen. Darauf hat sich Marion spezialisiert. „Weil mir Holz sympathisch ist“, meint sie lächelnd. Eigentlich arbeitet sie als Ergotherapeutin. Oft sei es schwer, Beruf und Bau miteinander zu verbinden, sagt Maria. Jeder Hausbewohner habe pro Monat eine bestimmte Zahl Arbeitsstunden abzuleisten, je nach Wohnungsgröße. „Ich muss für 54 Quadratmeter 13 Stunden wöchentlich arbeiten.“ Und das rund drei Jahre lang. Im August soll das Haus fertig werden. Wenn alles klappt. Aber natürlich klappt nicht alles. „Urlaub, ich hör immer nur Urlaub“, Georg kann von den Fehlstunden seiner Mitbewohner ein Liedchen singen. In der Mittagspause hockt er mit anderen Selbsthelfern am Cafétisch. Urlaub könne man sich eigentlich nicht leisten, fährt der Bauleiter fort. „Auch wenn man krank ist, hat man gleich Minusstunden.“ Und das wirke sich aus auf die Fördergelder. Alle drei Monate gibt es eine Rate vom Senat. „Aber nur, wenn das Geld vom vorigen Quartal ordnungsgemäß verbaut ist.“ Und dann leisten sich die Bewohner auch noch Extras, die das Land nicht zahlt. Etwa das Blockheizkraftwerk im Keller. Die 30.000 Euro dafür mussten die Bewohner selbst aufbringen. Aber ihnen ist es wichtig, ökologisch zu bauen.

Mit seinen großen Händen krümelt Georg Tabak in ein Blättchen: „Oft ist es schwer, Effektivität und Spaß noch miteinander zu verbinden.“ Ein Drittel der Leute sei erst während der Sanierung dazugestoßen: Lehrer, Sozialarbeiter, Familien, die meisten ohne Bauerfahrung. „Man weiß nicht, wer was kann“, sagt der Bauleiter. „Und ob sie’s lernen“, fügt Antje grinsend hinzu. Sie muss es wissen. Sie ist Juristin.

An das wöchentliche Hausplenum denkt Georg nur ungern. Debatten über Raumgestaltung dauern oft Stunden. „Bei dem demokratischen Prozess verliert man sich schnell in Kleinigkeiten“, seufzt er, „etwa bei der Farbe des Treppengeländers.“ Auch das Wohnen auf der Baustelle nerve mit der Zeit. „Man weiß nie, ob man durch Kreissäge oder Hammer aufwacht“, mischt sich Jörg ein. Alle Nase lang klopfe ein Handwerker an die Tür.

Doch allzu oft mussten sie die nicht engagieren. Fast die kompletten Innenarbeiten haben die Bewohner selbst gemacht. Georg wird lebhafter. Ganz in Eigenregie habe man Mauern gezogen und Balken gelegt. „Das Tolle an der Geschichte ist“, begeistert er sich, „dass jeder seine Wohnung selbst gestalten kann.“ So gebe es keine zwei Wohnungen mit gleichem Grundriss. Er zeichnet seine eigene auf ein Stück Papier.

Und dann gibt es noch die Gewerberäume. „Die will unser Kulturverein für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen“, erzählt Marion. „Künstler aus der Gegend können darin austellen.“ Die Leute von der Niederbarnimstraße 15 kümmern sich um ihren Kiez. „Die Kürzungen der Senatsmittel können darum schädlich sein für den sozialen Zusammenhalt im Bezirk“, meint Maria. Auch wegen der Mieten, die nur durch die Förderung vergleichsweise niedrig bleiben.

Dann geht jeder wieder an die Arbeit. Maria karrt Beton von einem Lastwagen zum Hauseingang. Und Jörg freut sich darüber, dass man sich noch nicht zerstritten hat. „Obwohl wir doch alle so verschieden sind“, meint er strahlend.