Einmal Mutti im Mercedes abholen

Claus Richter zeigt nicht nur den Medienkanzler, der weitgehend eins mit seiner Selbstinszenierung ist, sondern auch, wie die „Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen“ bis heute Gerhard Schröder prägt („Der Kampf ums Kanzleramt“, 21.00 Uhr, ZDF)

von STEFAN REINECKE

Kann man Schröder eigentlich noch porträtieren? Ist nicht alles längst erzählt? Ist nicht jede Geste, jeder Charakterzug längst hundertfach gezeigt, analysiert und kritisiert worden? Schröder, der Medienkanzler, versteht es, eine allgegenwärtige Sichtbarkeit herzustellen, die gewissermaßen in ihr Gegenteil umschlägt: Die Person verschwindet in der Inszenierung.

Claus Richter hat ein, soweit dies möglich ist, überraschendes Kanzlerporträt gedreht: eine Mischung aus Pflicht und Kür, aus Bekanntem und ein paar leuchtenden, präzise beobachteten Details und klugen Kommentaren (u. a. von Oskar Negt, Günter Grass, Helmut Newton).

Wir sehen die Stationen seiner Biografie: den Aufstieg aus armen Verhältnissen zum Rechtsanwalt, vom Jusovorsitzenden zum Ministerpräsidenten und nach ganz oben. Theorie, sagt der Kanzler, interessiert ihn nicht so sehr, eher „praktische Ergebnisse“. Man glaubt ihm aufs Wort. Bei Kohl, dessen Nachfolger er in mancherlei Hinsicht ist, hieß das: Wichtig ist, was hinten rauskommt. Doris Schröder-Köpf beteuert indes, dass ihr Gatte die Arbeit emanzipierter Frauen zu schätzen weiß. Da fällt der Glaube etwas schwerer.

Für einen Kanzler springt er, so suggeriert Richters Film, mit seinen Mitarbeitern maßvoll autoritär um. Schröder kann, das weiß, wer ihn sieht, richtig unangenehm werden, doch das Unduldsame hält sich in Grenzen. Ansonsten gilt: Schröder ist weitgehend identisch mit seiner Selbstinszenierung: Hände zu schütteln ist ihm keine Last, geradezu froh weicht er mal vom vorgeschriebenen Weg ab, um das Spalier stehende Küchenpersonal zu begrüßen. Mehr Kumpel kann kein Kanzler sein.

Der Film bleibt meist auf Halbdistanz. Selten klebt die Kamera ganz nah an Schröders Gesicht, manchmal analysiert der Off-Kommentar, wie der Kanzler sich medial inszeniert. Einen „Darsteller“ nennt er sich zu Recht selbst. Schröder liebt, wie man weiß, Fußball, als Mittelstürmer war er wie als Politiker: ausdauernd und strikt erfolgsorientiert. Fußball ist durchaus eine Metapher für Schröder: durchbeißen bis zum Erfolg. Das ist seine (Aufstiegs-)Moral. Diese Einsicht feiert der Film gegen Ende in peinlich feierlichem Ton (und mit überflüssiger Musik).

So weit, so solide. Doch es gibt ein paar schlaglichthelle Bilder und Sätze. Keine Enthüllungen, oder Geständnisse, sondern Momente, die plötzlich fassbar und plausibel machen, warum Schröder ist, wie er ist. Einmal sehen wir einen Zeitzeugen, der zeigt, wo Schröder seine Kindheit fristete. Mit Fußbällen hat er markiert, wie groß – vielmehr klein – die Baracke war, in der die Schröders damals wohnten. Sie stand auf dem Bolzplatz des Dorfes. Später zog die Familie um, in ein richtiges Haus, allerdings für „Asoziale“. Dort lehnt heute eine alte Frau aus dem Fenster und sagt in die Kamera: „Die Schröders waren mehr wie arm.“

In dieser Szene versteht man abrupt die materielle Wirklichkeit, die sich hinter der Formel „stammt aus einfachen Verhältnissen“ verbirgt. Man versteht, dass das Wort vom geglückten „Aufstieg“ etwas Folkloristisches hat. Und man begreift, dass der Einfluss dieser Kindheit kaum zu überschätzen ist. Die Angst, jemals wieder dort zu landen, und die (Kinder-)Fantasie, die Mutter mal mit dem Mercedes abzuholen, sind wohl der Motor in diesem Leben. Daher rührt der Ehrgeiz, dessen Verbissenheit zu verbergen auch schon wieder eine reife Leistung ist.

Schröder, so kommentiert jemand in dem Film, ist wie jeder Aufsteiger im Kern konservativ. Was erreicht wurde, wird nicht mehr hergegeben. Und: „Die Vision, die er hat, ist das sichere Ufer.“ Ein Merksatz. Er sagt mehr über den Kanzler als viele Interviews, Reportagen und Homestorys zusammen.