Viel Anreiz, wenig Jobs

Die Vorschläge der Hartz-Kommission zielen auf die Senkung des Arbeitgeberanteilsan der Sozialversicherung ab. Damit greifen sie den Sozialstaat in seinem Kern an

Das Risiko Arbeitslosigkeit soll privatisiert werden – die künftige Arbeitslosenversicherung ist keine mehr

Die Vorschläge der von der Bundesregierung eingesetzten Hartz-Kommission zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit kursieren als Wundermittel gegen Schröders größtes Problem: die hohe Arbeitslosigkeit. Sie erfahren Zustimmung nicht nur von der Regierung, auch die Gewerkschaften lobten den Maßnahmenkatalog des VW-Managers Hartz. Dabei sind seine Vorschläge nichts anderes als unseriös.

Lösungen, um die Ursachen der strukturellen Arbeitslosigkeit zu beseitigen, bietet die Kommission nämlich nicht an. Das Angebot an Arbeitsplätzen stagniert bei rund 38,3 Millionen, Tendenz abnehmend. Das heißt, entweder bietet die Wirtschaft mehr Arbeitsplätze an, oder die vorhandene Arbeit müsste auf mehr Menschen verteilt werden. Verstärkte Vermittlungsanstrengungen, die bereits im Job-Aqtiv-Gesetz die Arbeitslosenzahl verringern sollten, stoßen deshalb schnell an die Grenze von rund 500.000 offenen Stellen. Doch das ficht die Hartz-Kommission nicht an. Ausgehend von der Idee des aktivierenden Staates, der weniger bevormunden als zu mehr Eigeninitiative anregen will, soll ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik eingeleitet werden, weg vom Versicherungsgedanken, hin zu einem Sanktions- und Anreizsystem.

So sollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einem Sozial- oder Eingliederungsgeld auf Sozialhilfeniveau zusammengefasst werden. Die Leistungen für Arbeitslose sollen generell gekürzt werden, indem sie von der Bruttolohnentwicklung abgekoppelt werden, Arbeitslose über 55 bekommen weniger, wenn sie nicht bereit sind, sich für den Gegenwert ihres Arbeitslosengeldes für immer abzumelden.

Der missliche Gebrauch des Wortes „Anreiz“ für Leistungskürzungen aller Art, häufig auch in Kombination mit dem Attribut „positiv“, verdächtigt alle arbeitslosen Leistungsempfänger des Leistungsmissbrauchs. Dem entspricht der Vorschlag der Kommission, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen, einen Job anzunehmen. Nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit soll eine auch deutlich niedriger qualifizierte Stelle nur dann abgelehnt werden können, wenn das Nettogehalt unter den Leistungsbezug fällt. Ende 2001 waren das für 75 Prozent der Arbeitslosenhilfeempfänger im Durchschnitt 614 Euro. Zusätzlich will die Kommission die Beweislast für die Unzumutbarkeit einer angebotenen Stelle auf den Arbeitslosen verlagern. Die Verwaltung ginge künftig davon aus, dass eine von ihr angebotene Beschäftigung auch zumutbar ist. Das Grundrecht auf freie Berufswahl für Arbeitslose würde gänzlich abgeschafft.

Den höchsten Effekt erwartet Hartz von dem Vorschlag, über „outgesourcte“ Personal-Service-Agenturen (PSA) der Bundesanstalt für Arbeit Leiharbeit einzuführen. Bei diesen Agenturen könnte jeder Arbeitslose beschäftigt werden. Wird die Leiharbeit verweigert, wird das Arbeitslosengeld gekürzt. Schwer vermittelbare und behinderte Arbeitslose wären für die Entleihfirmen „kostenlos“. Für qualifizierte Arbeitslose ist der Übergang in eine Zeitarbeitsfirma angedacht, die sich über den Arbeitnehmerverleih refinanzieren soll. Insbesondere die erste Gruppe der PSA-Beschäftigten, etwa eine halbe Million Personen, unterliegt damit de facto einem Arbeitszwang. Ihre Entlohnung wird offen gehalten und dürfte nicht wesentlich über dem Arbeitslosengeld liegen, da sonst statt der gewünschten Kostenentlastung eine erhöhte Belastung die Folge wäre. Für diese Gruppe wird der grundsätzliche Anspruch auf Arbeitslosengeld abgeschafft und durch eine Arbeitsverpflichtung bei einem Einkommen auf niedrigstem Niveau ersetzt. Ihrem „Arbeitgeber“, der leistungszahlenden Behörde, die die Zumutbarkeit einer angedachten Tätigkeit definiert, wäre sie ausgeliefert. Übergänge in nennenswerter Zahl aus der Leiharbeit in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis sind nicht zu erwarten. Der erste Arbeitsmarkt fragt schwer vermittelbare und gering qualifizierte Personen nicht nach und wird sein Angebot an entsprechenden Arbeitsplätzen auch künftig nicht ausbauen. Dies hat nicht zuletzt die geringe Nachfrage nach Zuschüssen aus diversen Kombilohnmodellen seitens der Arbeitgeber bewiesen. Negative Auswirkungen auf die Löhne und Gehälter auch der regulären Arbeitnehmer sind unvermeidlich, der Druck auf die unteren Gehaltsklassen wird wachsen. Die realistische Perspektive für die am meisten benachteiligte Personengruppe wird ihre Überführung in die Sozialhilfe sein. Es ist zu vermuten, dass dieses aussichtslose und entwürdigende Modell die bisherigen Formen befristeter Beschäftigung im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ablösen wird.

Alle Vorschläge der Hartz-Kommission stellen darauf ab, die Lohnnebenkosten der Arbeitgeber zu senken, indem das Risiko Arbeitslosigkeit privatisiert wird. Damit wird das Sozialversicherungssystem in seinem Kern angegriffen. Zusammen mit der Kranken- und Rentenversicherung bildet die Arbeitslosenversicherung die Grundlage des Systems, das zu gleichen Anteilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Solidargemeinschaft finanziert wird. Den Versicherungsgedanken gibt die Kommission auf: Die künftige Arbeitslosenversicherung ist keine mehr. Entsolidarisierung ist das Ziel und wird die Folge sein. Warum sollten Facharbeiter oder Angestellte mit mittleren bis guten Einkommen in eine staatliche Zwangsversicherung einzahlen, wenn sie im Ernstfall nur ein Jahr abgesichert sind und lediglich pauschalierte Leistungen erhalten?

Folgendes Szenario droht: Arbeitnehmer, die es sich leisten können, versichern sich privat. Für die Armen ist eine – steuerfinanzierte – Sozialkasse zuständig. Eine solche Lösung belastet das Arbeitgeberlager wenig, denn ihr Steueraufkommen ist, relativ gesehen, gering. Auch Arbeitsminister Riester will mit Hilfe der Hartz-Kommission vor allem sparen. Er hat ihre Vorschläge in seinen Haushaltsentwurf für 2003 eingearbeitet und plant Kürzungen beim Zuschuss des Bundes für die Bundesanstalt für Arbeit sowie bei der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 4,5 Milliarden Euro. Ohne Leistungskürzungen sei diese Summe absolut unrealistisch, warnt das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe.

Die Vorschläge der Hartz-Kommission sind kein Wundermittel, sondern nichts anderes als unseriös

Die Gewerkschaften haben die Vorschläge der Hartz-Kommission in großen Teilen begrüßt und im selben Atemzug gefordert, Leistungen an Arbeitslose nicht zu kürzen. Dieser Spagat ist unsinnig: Die Hartz-Vorschläge sind in allen Komponenten Leistungskürzungen. Wer die nicht will, muss das Gesamtkonzept ablehnen und über den Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit nachdenken. Kanzler Schröder hat es geschafft, Zwickel & Co angesichts der Bundestagswahlen im September hinter sich zu bringen. Damit opfern die Gewerkschaften ihre gesellschaftliche Verantwortung für die sozialen Interessen auch der Arbeitslosen der politischen Farbenlehre. Dem Sozialstaat wird das schlecht bekommen. Den Gewerkschaften auch.

GABY GOTTWALD