Frei erfundene Zahl

Stoiber warnt vor 150.000 Ausländern. Wie er darauf kommt, weiß auch die CSU nicht. Schily assimiliert weiter

BERLIN taz ■ Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) hat mit seinen neuesten Warnungen vor dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz die Experten seiner eigenen Partei überrascht – und in Erklärungsnöte gebracht.

„Ich weiß nicht, wie Herr Stoiber das gerechnet hat“, sagte der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Wolfgang Zeitlmann, gestern der taz. Er selbst habe „nicht genug Informationen“, um die Zahl der Zuwanderer, die nach dem rot-grünen Gesetz zu erwarten seien, „so konkret zu messen.“

Stoiber hatte bei seinem Interviewduell mit Kanzler Gerhard Schröder (SPD) in der Bild-Zeitung behauptet, „dass wir mit diesem Gesetz mit Sicherheit zwischen 100.000 und 150.000 neue ausländische Bürger zusätzlich bekommen werden“. Schröder warf seinem Gegenspieler deshalb vor, er verbreite Angst mit „willkürlichen Zahlen, die niemand beweisen kann und die einfach in die Welt gesetzt werden“. Das neue Gesetz erlaube „im Unterschied zu dem, was Herr Stoiber gesagt hat, eine sinnvolle Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“.

Auch Innenminister Otto Schily (SPD) warf Stoiber „bewusste Irreführung der Öffentlichkeit“ vor. Das Gesetz werde zu einem Rückgang der Zuwanderung führen, sagte Schily bei der Taufe des neuen „Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge“ in Nürnberg. Sinken würden vor allem die Zahlen der Spätaussiedler und der ausländischen Kinder im Familiennachzug. Den Rückgang der Asylbewerber im Juni bezeichnete er als „Vorauswirkung“ des Gesetzes.

Das bisherige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge soll laut Schily zum Kompetenzzentrum für alle Fragen der Zuwanderung werden und ein umfassendes bundesweites Integrationskonzept erarbeiten. Wie er sich das vorstellt, machte Schily deutlich, indem er seinen Lieblingsbegriff wiederholte: „Assimilierung ist die beste Form der Integration“, betonte er. „Ich weiß gar nicht, weshalb wir vor diesem Begriff eine solche Scheu haben.“ Der Präsident des Bundesamts, Albert Schmid (SPD), freute sich über die neuen Aufgaben für seine in der Asyldiskussion „über Jahrzehnte gebeutelte Mitarbeiterschaft“. Weil es immer weniger Asylbewerber gebe, sei die Umstellung weitgehend ohne zusätzliches Personal möglich.

Der grüne Innenpolitiker Cem Özdemir sagte der taz, er begrüße die neue Ausrichtung der Behörde, betonte aber: „Assimilation gehört nicht zu ihren Aufgaben.“ LUKAS WALLRAFF