Die Favoriten geben sich keine Blöße

Christopher Lutz galt einst als Supertalent des Schach, tut sich jedoch schwer beim WM-Qualifikationsturnier

DORTMUND taz ■ Kein Geringerer als Anatoli Karpow prophezeite Christopher Lutz 1992 eine glanzvolle Karriere. Der 21-Jährige hatte soeben beim Weltklasse-Turnier in Baden-Baden den zweiten Platz hinter dem Schach-Genie aus dem Ural belegt. Nur Karpow und der gebürtige Duisburger blieben in allen elf Partien ungeschlagen. Ja, würde dieser immer so spielen, meinte der zwölfte Weltmeister der Schach-Geschichte, könnte ihn Lutz durchaus auf dem Thron beerben.

Zehn Jahre später nimmt der Gepriesene dank einer Wildcard am WM-Qualifikationsturnier bei den 30. Dortmunder Schachtagen teil. Vermag Karpow auf den 64 Feldern weit vorauszudenken, verkalkulierte sich der Russe bei Lutz’ Aufstieg gewaltig. Der verlief nämlich alles andere als steil, geschweige denn, dass er in die Fußstapfen des großen deutschen Schachspielers Emanuel Lasker, Rekord-Weltmeister von 1894 bis 1921, treten konnte. Nach Baden-Baden spielte Lutz solide, selten überragend, stets irgendwo auf dem Niveau der Weltranglistenplätze 50 bis 100.

In der Bundesliga bietet ihn sein Mentor Wilfried Hilgert trotzdem seit 1992 am Spitzenbrett des Kölner Renommierklubs SG Porz auf. Selbst als Alexander Khalifman für kurze Zeit Weltmeister war, musste der St. Petersburger hinter dem ehemaligen Informatik-Studenten Platz nehmen. „Ich will deutsche Spieler fördern“, nennt Hilgert einen Grund für die Unterstützung. Der Kölner Reeder und Immobilien-König räumt allerdings auch ein, dass er für Lutz die besseren Großmeister pikierte, weil dieser „so zuverlässig“ sei. „Er ist in jeder Beziehung ein Vorbild und meine Nummer eins“, betont Mäzen Hilgert. Lutz kümmert sich um die 13 Jugend-Mannschaften des Klubs, Lutz trainiert die 17-jährige WM-Achtelfinalistin Elisabeth Pähtz, Lutz betreut den bei der deutschen Meisterschaft direkt hinter ihm zweitplatzierten Florian Handke.

Bundestrainer Uwe Bönsch schätzt den 31-Jährigen ebenso: als „sehr gewissenhaften Arbeiter, der sich gründlich auf seine Gegner vorbereitet“. Von dieser Sorte solider Großmeister besitzt der Hallenser mehrere. Als Team sind sie schwer zu schlagen. Vierter bei der WM, Dritter bei der EM und gar Zweiter bei der Schach-Olympiade lauten die formidablen Resultate des deutschen Nationalteams seit 2000. Man fühlt sich an die deutschen Rumpel-Fußballer erinnert. Der Star muss die Mannschaft sein, weil es beim Schach nicht einmal einen Torwart gibt. Und einen Ronaldo auf den 64 Feldern hat die Bönsch-Auswahl natürlich auch nicht. Lutz ist vielleicht ein bisschen wie Didi Hamann. Unauffällig, aber dann zur Stelle, wenn sein Einsatz erforderlich wird.

In Dortmund erhält der Weltranglisten-39. wie die Stars 15.000 Euro Startprämie. Viel Geld für einen Großmeister fern der Topten. Mehr wird es allerdings kaum werden. In der Vorrunde lag Lutz nach vier der sechs Partien mit einem Punkt (zwei Remis und zwei Niederlagen) hinter Weselin Topalow (3), Boris Gelfand (Israel) und dem Spanier Alexej Schirow (beide 2). Zwei kommen weiter. In Gruppe II lag Jewgeni Barejew (Russland/3) vor Michael Adams (England/2), Peter Leko (Ungarn) und Alexander Morosewitsch (Russland/je 1,5).

„Gegen Schirow und Gelfand ist mein Score sehr schlecht. Beide habe ich noch nie geschlagen“, war der Außenseiter schon vor der mit 300.000 Euro dotierten WM-Qualifikation skeptisch. Den derzeit überragend spielenden Weltranglistenfünften Topalow hatte er indes im bisher einzigen Duell bezwungen. Doch ausgerechnet der Bulgare setzte ihn gleich beim Auftakt nach einem brillanten Springeropfer matt. Die Hoffnung, „dass sie gegen mich mehr Risiko in Kauf nehmen und sich dadurch Chancen ergeben“, schlug ins Gegenteil um. Vielmehr bewahrheitete sich die Furcht von Bönsch, der sich fragte, ob Lutz die „ganze Partie durchhält“.

Nein, das nicht. Doch dafür wird der deutsche Meister ein ganzes Leben durchhalten, während manch einer seiner genialen Kontrahenten in Dortmund bei herben Niederlagen ein weiteres Stück der Verzweiflung näher rückt. HARTMUT METZ