Überraschung bei Wahl in Bolivien

Der Sozialist und Führer der Kokabauernbewegung Evo Morales zieht knapp in die Stichwahl um das Präsidentenamt ein. Expräsident und Wahlsieger Gonzalo Sánchez de Lozada baut nun auf eine Allianz mit seinen bürgerlichen Rivalen

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Zehn Tage nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Bolivien ist es amtlich: Evo Morales, Linkskandidat und Sprecher der indigenen Kokabauern, zieht in die Stichwahl gegen Expräsident Gonzalo Sánchez de Lozada. In der Zielgeraden überholte Morales den Rechtspopulisten Manfred Reyes und kam auf 20,94 Prozent – genau 0,03 Prozent mehr als Reyes. Mit 22,36 Prozent liegt Sánchez de Lozada zwar vorne, doch um Präsident zu werden, muss er bis Anfang August eine Parlamentsmehrheit zusammenschmieden.

Dazu braucht der 72-jährige Rechtsliberale mindestens einen seiner bürgerlichen Rivalen – entweder seinen Intimfeind Jaime Paz Zamora, der Anfang der Neunzigerjahre sein Vorgänger im Präsidentenpalast war, oder den früheren Armeehauptmann Reyes. Im Wahlkampf hatten diese die neoliberalen Positionen von Sánchez des Lozada attackiert, nach der Wahl mit Morales kokettiert und schließlich eine „würdige Opposition“ angekündigt. Bisher kann Sanchez de Lozada nur auf die Reste der noch regierenden konservativen ADN zählen, doch Paz Zamoras Partei könnte bald folgen.

Derweil übt sich Evo Morales genüsslich in staatsmännischen Posen. „Natürlich“ solle man „nicht ausschließen“, dass er Präsident werden könne, aber das übliche Postengeschachere werde er nicht mitmachen, sagte er nach seinem Einzug in die Stichwahl. „Freiwillige, würdige und ehrliche Stimmen“ werde er nicht zurückweisen. Unterstützt wird er von der Indigenen Pachakuti-Bewegung (MIP) des Aymara-Sprechers Felipe Quispe, der mit sechs Prozent der Stimmen auf Platz fünf landete. Zusammen stellen Morales’ „Bewegung zum Sozialismus“ und die MIP 41 von 157 Parlamentariern, zur Hälfte Indigenas, zur Hälfte linke Akademiker aus den Städten.

70 Prozent der Sitze würden von „systemkonformen Parteien“ gehalten, tröstet sich US-Botschafter Manuel Rocha. Am imperialen Gestus Washingtons hat sich auch nach der Wahl nichts geändert – letzte Woche versuchte Rocha die drei Bürgerlichen auf ein Bündnis gegen Morales einzuschwören, wie Manfred Reyes berichtete. „Absolut absurd“ seien die Vorwürfe, die USA wollten den Wahlprozess manipulieren, versicherte derweil ein Sprecher des US-Außernministeriums in Washington.

Mit einem Weiter-so wird sich die explosive Situation Boliviens jedoch kaum entschärfen lassen. Zwei Drittel der 8,3 Millionen BolivianerInnen leben in Armut, Analphabetentum und Korruption steigen unermesslich. Vom Geldsegen der Privatisierungen, die vor allem Sánchez de Lozada zwischen 1993 und 1997 umsetzte, ist wenig bei der mehrheitlich indianischen Bevölkerung angekommen. Im Gegenteil: Durch die Repression in den Kokaanbaugebieten sind die Ressentiments gegen die „Gringos“ stärker denn je. Das ist Wasser auf die Mühlen von Evo Morales: „Das bolivianische Volk hat seine Angst vor den USA verloren und sich organisiert, um seine Würde zu verteidigen.“