Atomendlager vor Las Vegas Haustür

Unter dem Druck der Energiewirtschaft stimmt US-Senat umstrittenener Deponie in der Wüste von Nevada zu. Kritiker warnen: 11.000 Ladungen würden 25 Jahre lang dorthin transportiert. Das Gebiet gilt als erdbebengefährdet

„Verpassen Terroristen den Atom-Zug um 10.30 Uhr, nehmen sie den um 1.30 Uhr“

WASHINGTON taz ■ Der Atommüll der USA soll künftig in einem zentralen Endlager in der Wüste von Nevada gelagert werden. Der US-Senat gab am Dienstag grünes Licht für das umstrittene Projekt, nachdem bereits im Mai das Abgeordnetenhaus zugestimmt hatte. Damit wurde ein Veto des Gouverneurs von Nevada unwirksam, das in Washington über keine einflussreiche Lobby verfügt. Schließlich sind die meisten Bundesstaaten froh, ihren Atommüll loszuwerden.

Die Entscheidung ist ein Sieg für US-Präsident George W. Bush, der sich für das Projekt ausgesprochen hatte. Bush stand unter erheblichem Druck der Energiewirtschaft, da sich die Bundesregierung bereits in den 50er-Jahren verpflichtet hatte, die Verantwortung für die Entsorgung des Atommülls zu übernehmen. Bislang werden ausgediente Brennstäbe an den jeweiligen Atommeilern oder auf Militärbasen zwischengelagert. Bush will die Produktion von Atomstrom wieder ankurbeln, nachdem über Jahre kein Reaktor mehr ans Netz ging.

Das Energieministerium will die 300 Meter unter der Erde liegenden Schächte im Yucca-Berg bis 2010 in Betrieb nehmen und dort 70.000 Tonnen hochradioaktiven Atommüll einlagern. Das zukünftige Endlager liegt rund 130 Kilometer nordwestlich von Las Vegas am Rande eines Atomwaffen-Testgebietes in einer Gegend, die von der Atomlobby als abgelegen und menschenleer und daher besonders geeignet dargestellt wurde. Doch die Vororte des Glückspiel-Mekka wachsen dem Berg unaufhaltsam entgegen, und das angrenzende Tal ist mittlerweile Farmland. Die Bewohner befürchten eine Verseuchung des Grundwassers und verweisen auf die hohe Erdbebengefahr in der Region.

Der Kongressbeschluss beendet eine 20-jährige kontroverse Debatte um die Atommüllentsorgung in den USA. Bis zum 11. September stritten Experten vor allem über die technische Sicherheit des Berges. Nach den Terroranschlägen wurde das Transportrisiko zum beherrschenden Thema. Für eine Weile schien es sogar möglich, dass eine Mehrheit der Senatoren das Endlager ablehnen könnte. Demokraten, Bürgerinitiativen und Umweltgruppen warben im Kongress um wankelmütige Senatoren aus Transitstaaten, die ihren Wählern nun die Gefahren des größten kontinentalen Transfers von Atommüll in der amerikanischen Geschichte verkaufen müssen.

Ihr Horror-Szenario: 11.000 Ladungen werden 25 Jahre lang aus 39 Staaten nach Nevada transportiert. Alle 15 Stunden rollt ein Atommüllcontainer durch Chicago, St. Louis oder Denver. „Wenn Terroristen den 10.30-Uhr-Zug verpassen, nehmen sie den um 1.30 Uhr“, scherzt zynisch ein Antiterrorberater für die Staat Nevada. Die Bush-Regierung spielt die Risiken herunter. Sie verweist darauf, dass seit 1960 rund 2.700 Ladungen unfallfrei transportiert worden sind. Der Energieminister hält es für gefährlicher, den strahlenden Müll wie bisher an den rund 130 Standorten zu lagern – ein zentrales Endlager sei besser zu schützen.

Vor der endgültigen Inbetriebnahme sind jedoch noch viele Hürden zu überwinden. Der Staat Nevada hat sechs Klagen eingereicht, die das Projekt – so hoffen die Gegner – auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben könnten. Auch die atomrechtliche Genehmigung dürfte noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Die Regierung hat zudem bislang keine detaillierten Routenpläne vorgelegt. Wenn es den eigenen Vorgarten betrifft, könnten selbst Amerikaner in den betroffenen Kommunen auf die Barrikaden gehen. Doch das eigentliche Problem hat sich der Kongress selbst geschaffen, indem er die Lagerkapazität im Yucca-Berg auf 70.000 Tonnen begrenzt hat. Spätestens um 2030, so die Prognose, muss daher ein neuer Berg gefunden werden.MICHAEL STRECK