Rhetorisch siegt Rot-Grün zwei zu null

Verband der Redenschreiber analysierte die Reden der Spitzenkandidaten der fünf Bundestagsparteien

BERLIN taz ■ Die größte Enttäuschung hat einen Namen, und dieser Name lautet Guido Westerwelle. Allein der Glaube an seine Fähigkeiten als Talkshowgast hatte ihn zum liberalen Kanzlerkandidaten gemacht – und jetzt das: Beim ersten Rhetorik-TÜV der Spitzenkandidaten, den der „Verband der Redenschreiber deutscher Sprache“ gestern vorstellte, landete der FDP-Chef abgeschlagen auf dem letzten Platz. Seine „dröge“ Kandidatenrede auf dem Parteitag hat bei den Experten den „Eindruck eines nüchternen Rechenschaftsberichts“ mit „wenig Esprit“ hinterlassen. Auch die Frisur des sonst so elegant auftretenden Politikers gefiel den Redenschreibern nicht: „Die Haare sind etwas zu unstrukturiert und wirken nicht professionell gepflegt.“

Nur wenig besser fiel das Urteil über Edmund Stoiber aus – obwohl die Medien seinen Parteitagsauftritt vor drei Wochen überwiegend als Erfolg gewertet hatten. Nach Expertenmeinung unverständlich: Die „Darbietung“ der Rede bewerteten die Gutachter als „mangelhaft“. Der „schweißgebadete“ Stoiber habe ein „katastrophales Bild“ abgegeben, wie er während des 15-minütigen Beifalls „ziellos auf der Bühne umherwanderte, reichlich hilflos wirkte und auch noch begann, sich im Rampenlicht zu kämmen“, so der Darmstädter Redenschreiber Darlush A. Barsfeld.

Gegen einen solch hölzernen Herausforderer, glaubt deshalb Verbandspräsident Thilo von Trotha, werde Gerhard Schröder beim bevorstehenden Fernsehduell „leichtes Spiel haben“. Mit unverhohlener Befriedigung stellten die Redenschreiber fest, der Kanzler rede „wie aus dem Rhetoriklehrbuch“. Gutachter Barsfeld lobte Schröders Berliner Parteitagsrede als „verständlich“, „eingängig“ und „hervorragend ausgeführt“. Sogar die legere Kleidung gefiel: „Der Auftritt ohne Sakko erzeugte einen anpackenden und soliden Eindruck.“

Keine Rolle spielten bei der Bewertung die geschmacklichen oder politischen Vorlieben der Redenschreiber. Die Lederjacken der PDS-Chefin Gabi Zimmer sind Ihnen ein Graus? Darum geht es nicht. „Für die Vorsitzende einer sozialistischen Arbeiterpartei war die schlichte und eher simple Kleidung angemessen.“ Starre Gestik, verkniffene Mimik und unbeholfene Körperhaltung dagegen sind auch vor proletarischem Publikum nicht zu entschuldigen. Das Urteil: „Die Rede war dröge und monoton.“

Ganz anders Joschka Fischer. Den Auftritt ohne Rednerpult werteten die Fachleute als „innovativ“. Auch dass der Außenminister bei Parteitagen stets auf „voll korrekte Bekleidung“ verzichtet, können sie nachvollziehen. Damit komme er „den Befindlichkeiten seiner Parteibasis entgegen“.

Die Redeschlacht gegen die drei Oppositionsparteien hat Rot-Grün also mit zwei zu null für sich entschieden. Wenn Schröder und Fischer am 22. September unterliegen, dann hat es jedenfalls nicht an schlechter Rhetorik gelegen. Dass es darauf allein nicht ankommt, weiß Verbandschef Trotha nur zu gut. Er arbeitete einst für den hoch gelobten Redner Helmut Schmidt, der sein Amt an den rhetorisch unbegabten Helmut Kohl abgeben musste. RALPH BOLLMANN