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: Taxifahren und Love Parade vertragen sich nicht

Blut in Wallung

Liebe ist …, sich unter Freunden deutlich die Wahrheit zu sagen: „Wir wollen Liebe … du Sau“, grölt einer der Liebestouristen, und „liebes Arschloch, fahr uns mal ganz zackig zur Liebe“ ein anderer. „Bist du Student?“ fragt der dritte. Jetzt reicht’s – ich schmeiße sie aus meinem Taxi raus: betrunkene aggressive Meute. Meine Freunde sind das nicht.

Am „Herrentag“ arbeite ich lieber. Da sind die Kunden vergleichsweise gut drauf und ansprechbar. Neue Fahrgäste gibt es heute leider nicht – die meisten Paradebesucher sind mit ihren Autos da, Fahrzeugen der Liebe, Liebesmobilen. Die anderen rennen in riesigen Horden ohne zu gucken auf die Straße. Dabei stieren sie ohne zu lächeln vor sich hin – das ist kein fröhliches „Reclaim the Streets“, das ist stumpfsinnige, beinahe pflichterfüllte Nötigungsarbeit.

Niemand ist hier lustig, denn die Liebe ist ein ernstes Geschäft. Betonung auf ernst. Andere Betonung auf Liebe. Alles ist betont, die Nuance ist tot: „Umms, umms, umms, umms, umms, umms“ – Spatzen fallen tot vom Himmel und landen weich im zuvor Erbrochenen. Love Parade ist nicht nur Geschäft, sondern auch Krieg: ein Krieg der Liebe. Liebe beginnt mit einem L, L wie „Lebensraum im Osten“, und genauso fanatisch, dumpf und hasserfüllt wird dieser Krieg geführt: „Join the Love Reich“ – ich habe die Botschaft sehr wohl verstanden.

Warum sind die bloß alle so schlecht drauf? Haben sie die falschen Pillen genommen oder nicht rechtzeitig? Es gibt sechsteilige längliche Tablettenschachteln für „morgens“ bis „nachts“ und jeder, der eine Oma hat, kennt so was – was kann man da noch falsch machen?

Lehrter Bahnhof: Ein Raver hat seine Horde verlassen und damit die wichtigste Sicherheitsbestimmung für Nötiger verletzt. Ein Liebesmobil hat ihn daraufhin heftig geknutscht, und auf einer Bahre wird der Regungslose in einen Notarztwagen geschoben. Ein Kameramann filmt ihn und die Umstehenden: Viel nackte Haut, Infusionsschläuche und Sauerstoffmasken. Wo Blut fließt, gerät Blut in Wallung. Zwischen Glassplittern und Lachen roten Liebessafts küssen sich Menschen, andere tanzen. Endlich sieht man lustige Leute, viele schaulustige Leute. Alles ist live.

Im Radio höre ich, dass bereits am Morgen ein junger Mann „nachts“ und „nachmittags“ verwechselt haben muss und so vor einen fahrenden Zug gestürzt ist. Er hat die Liebe gesucht und den Tod gefunden. Aber ist der Tod nicht der Bruder der Liebe, so wie die Waschmaschine die schwere Schwester des Kühlschranks ist? Liebe ist … manchmal ganz schön hässlich. ULI HANNEMANN