Zum Glück keine Toten

Im Prozess um Brandanschlag auf türkischen Imbiss in Hellersdorf fordert Anklagebis zu dreieinhalb Jahre Haft. Verteidigung bestreitet Ausländerhass als Tatmotiv

Der Plan, mit dem Enrico L. (16), Michel J. (19) und Dennis L. (21) in der Neonaziszene zu Ruhm kommen wollten, entstand an einem kalten Januarnachmittag in einer Hellersdorfer Plattenbauwohnung. Mit Molotowcocktails wollten die drei polizeibekannten Rechten „Ausländern oder Ausländerfreunden“ eine Lektion erteilen. Die Vorbilder: Ein Film über das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und Lieder wie „NSDAP“ der Berliner Neonaziband „Macht und Ehre“. Die Zutaten fanden sich in der Nähe: Ein mit Benzin gefüllter Ersatzkanister, für den sie an einer Tankstelle noch ein Handy als Pfand hinterlegten. Das erste Ziel: Das als Treffpunkt für Punks bekannte Kino „Kiste“ in Hellersdorf. Nur zufällig entkamen die Menschen vor dem Gebäude einem Anschlag, glaubt die Staatsanwaltschaft beim Landgericht: „Die Angeklagten fanden das Kräfteverhältnis ungünstig.“

Das nächste Ziel fand sich schnell: Ein türkischer Imbiss, in dem kurz nach Mitternacht noch zehn Gäste versammelt waren. Aus knapp zwei Metern Entfernung schleuderte Michel J. seine Brandflasche in die Holzbude. „Es ist pures Glück, dass wir nicht über mehrere Tote und Schwerverletzte verhandeln müssen“, so die Staatsanwaltschaft. Die brennende Flasche traf eine Imbissbesucherin am Rücken. Ein zweiter Brandsatz zerschellte am Türpfosten.

Unmittelbar nach der Festnahme hatte das geständige Trio erklärt, man wollte „ein Kanakenhaus brennen sehen“. Vor Gericht präsentieren sich die drei Lehrlinge nun reumütig, mitsamt Entschuldigungen und nachgewachsenen Haaren. Einen politischen Hintergrund bestreiten ihre Verteidiger vehement. Sie argumentieren mit Alkoholkonsum, geringem IQ und positiven Sozialprognosen: „Mein Mandant mag zwar keine Ausländer, aber deshalb muss er noch lange kein Rechtsradikaler sein“, sagt etwa Verteidiger Dieter Starkulla über Enrico L., gegen den noch ein Verfahren wegen verfassungsfeindlicher Propaganda anhängig ist.

In Michel J.’s Zimmer hingegen, das bis unter die Decke mit Hakenkreuzen verziert war, fanden die Ermittler einen Schriftwechsel mit der NPD-Jugendorganisation, einen Baseballschläger und stapelweise Neonazi-CDs. Für die Staatsanwaltschaft sind die Tatmotive „Ausländerhass und Rechtsradikalismus“ eindeutig: Wegen versuchten Mordes fordert sie für Michel J. eine dreieinhalbjährige Jugendstrafe, drei Jahre Haft für Dennis L. und zwei Jahre auf Bewährung für Enrico L. Die Verteidiger hingegen hoffen auf Bewährungsstrafen für alle. Am Montag fällt die Schwurgerichtskammer das Urteil. HEIKE KLEFFNER