Sex mit Tante Tantra

Esoterische Erotik in diesen schwülen Zeiten. Ein Anzeigen-Überblick

„Ich, 30 J., will mich verlieben! Aber nicht ‚just for fun’, sondern es muss tief gehen.“

Nehmen wir ein x-beliebiges Stadtmagazin zur Hand, zum Beispiel das Journal Frankfurt: „Hallo Schneewittchen!“, lesen wir, „Liebe 3 x täglich! Komm …!“ Ein anderer Er sucht eine Sie, die „im Kopf und im Portemonnaie selbstständig ist“, indes zunächst „Chat und Interessencheck“ überstehen muss, bevor er steht. Eine ähnliche Direktive erteilt eine Sie an eine Sie: „Ich, 30 J., will mich verlieben! Aber nicht ‚just for fun’, sondern es muss tief gehen.“ Wie soll das gehen?

Rätsel über Rätsel. Was will der Kerl? „Bla Bla Bla Bla Bla Bla. Akad., sportlich, erfolgreich …, vermißt hinreißende, dunkelhaarige Herzensdame 30–35, > 170, < 70. Bla Bla Bla, Alb Alb Alb Alb Alb Alb. Bla Bla Bla, BmB. Bla Bla Bla. Alb Alb Alb Alb Alb Alb Alb Albbl. BmB.“ Blasen, blasen, blasen bis zum Alpenblühn? Bumsen mit Blumen? Könnte es auch etwas klarer sein? „Junge Dame für Stuntszenen gesucht! Life is a dangerous game.“ Na bitte.

Trotzdem – das ist doch alles ziemlich oberflächlicher Maoismus. Oder Machismus. Oder vielleicht Materialismus. Wo bleibt da der Geist? Das innere Wertgefüge der Liebe? Die deepe Seele? Das Tantra?

Während das vernaddelte Titti-und-Tuten-Blatt Spiegel jüngst per Titelgeschichte die „Chemie der Lust“ zu entdecken vorgab, Propaganda für das Teufelszeug einer „neuen Potenzpille der Bayer AG“ betrieb und eine „zweite sexuelle Revolution“ ankündigte, die „neues Feuer im kalten Schoß“ entfachen soll wie einst das französische Bürgertum auf den Barrikaden vor der Bastille, weist uns einfühlsamen Lesern das Journal Frankfurt den Weg zum erfüllenden Glück: a) „sinnliche und gefühlvolle Massage mit Aromatherapie“, b) „phantasievolle Körperreise für Sie und Ihn“ durch ein „exklusives Setting“ für die „Lösung systemischer Verstrickungen“, c) „spirituell-sinnliche Berührung“ bei „Celine’s-Tantra-Massage“ oder „Tantramassagen – Feuer der Sinne!“

„Sexuelle Heilung, Kultivierung des Eros“ – nichts weniger denn dieses Freud’sche Fest verspricht die „Advaita-Tantra-Schule“; ein „Tantra für Rebellen“ verspricht sie, das Herbert Marcuses altes Dogma einer umfassenden polymorph-perversen Sexualität endlich von der drögen Theorie in die heiße Praxis umsetzt. Tante Tantra, die unersättliche Lehrmeisterin und Ratgeberin für uns Nichten und Neffen der „sexuellen Revolution“ (G. Amendt) der roaring Siebziger, kommt erst heute, im Zeitalter der funkelndsten Esotisierung des modernen Menschen, auf tierische Touren.

Zu Recht verwirft der Frankfurter Sexualhermeneut Holger Suppa Potenzpillen als „das törichte Tablettentantra für überreife, matschige Hänger. Man muss sich nur Fred von Anhalt ansehen! Der kriegt vor lauter Viagra-Schocks die Schweinsäuglein nicht mehr auf!“ Um solch einen „koital-kollateralen Kapitalschaden“ zu vermeiden, plädiert er für „die echte esoterische Erotikpower pur qua Tantra total“. Unterstützung erhält er von prominenten Sites und Seiten. Die ganzheitliche „Liebeslust zum Leben“, so das „Esoterikforum“ Shikara’s World (shikara.de), erwecke die tantrische „Destillation des inkarnierten Geistes aus dem Fleisch“ (TV-Satanologe Josef Dvorak), „wobei ruhig viel Schaum im Spiel sein kann“.

Hochprozentige Sexbomben wie Birgit „So viel Lust zu leben“ Schrowange und Annie Sprinkle, „Ex-Porno-Star, feministische Lust-Aktivistin“ (tantra-info.ch), schwören selbstredend auf Tantra. „Es ist auch Sieben-Chakren-Tantra“, schäumt Sprinkle vor sprühender Entgeisterung. Der Leiter des EroSpirit Research Institute, Joe „Long John“ Kramer, nennt Tantra „meinen Weg, mir der Schwingungen meines Lebens bewusst zu sein“, und der „Tantra-Lehrer“ Andro fasst zusammen: „Tantra ist Sinnenweg“.

Suchen wir den Ausweg aus der verwichsten Wüstenei des Heute! Erleuchten wir unsere Sinne! Heben wir die Gegensätze der Ekstase auf! Taufen wir den Körper – „ein millionenfach schwingendes Universum“ (Eva Szabo) – „Tempel, Gral, heiliges Gefäß“ (Adorno, Blödsinn: Andro), und feiern wir „die Wiederentdeckung unseres erotisch-sexuellen wilden Selbst“ (Szabo) – notfalls durch innerlich illuminiertes Titten-Tantra, Tunten-Tantra, Torten-Tantra (Vorspiel!) und Traktoren-Tantra (Variante für niederbayerische und vorpommerische Agrarlackel).

Und dann „die Seele baumeln lassen“ (Journal Frankfurt), am Kleiderhaken aufhängen und schön die Eier schaukeln. Gute Verrichtung! JÜRGEN ROTH