Wechselnde Herren

Stettin war nicht immer nur polnisch oder deutsch, sondern erlebte in seiner 1.300-jährigen Geschichte verschiedene Zugehörigkeiten. Von 1184 bis 1227 stand es mit Pommern unter dänischer Hoheit. Später wurde Pommern unter der Greifendynastie zu einem unabhängigen Staat und einem Puffer zwischen Polen, Brandenburg und dem Kreuzritterorden. Mit dem Ende der Greifendynastie und dem Dreißigjährigen Krieg wurde Stettin 1648 schwedisch. Erst 1720 kam die Stadt zu Preußen, bis sie 1945 polnisch wurde.

Bereits am 26. April 1945 war Stettin von der Roten Armee erobert worden. Obwohl Stalin den polnischen Kommunisten bereits 1944 die Übernahme der westlich der Oder gelegenen Stadt in Aussicht gestellt hatte, übernahmen die Polen erst am 5. Juli die endgültige Verwaltung. In der Zwischenzeit war es immer wieder zu Streitereien über den Grenzverlauf gekommen, in dessen Folge sich die polnische Einsatzgruppe unter Piotr Zaremba zweimal aus der Stadt zurückziehen musste. Selbst das Abschlussdokument der Potsdamer Konferenz erwähnte Stettin nicht, so dass der endgültige Grenzverauf erst in einem Zusatzvertrag am 21. September 1945 in Schwerin endgültig festgelegt wurde. Sehr zum Ärger von Walter Ulbricht, der sich auch später immer wieder für eine Grenzrevision stark gemacht hatte.

Die Forderungen der deutschen Vertriebenen nach Rückgabe ihrer ehemaligen Gebiete führten bis zum deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990 zu einer nur verhaltenen Entwicklung Stettins. Priorität hatte der Wiederaufbau Warschaus, später auch Danzigs, Breslaus und Posens. Die westlichen Grenzgebiete dagegen, für die polnische Regierung nach 1945 so genannte „wiedergewonnene Gebiete“, waren von der wirtschaftlichen Entwicklung Polens abgehängt. Das lag zum einen daran, dass die neuen Bewohner, ihrerseits Vertriebene aus den polnischen Ostgebieten, nur schwer in ihrer neuen Heimat Fuß fassten. Aber auch der Staat investierte nur wenig in die Gebiete, von denen es in den bundesdeutschen Schulbüchern bis in die Siebzigerjahre hieß: „Unter polnischer Verwaltung.“

Heute ist Stettin eine junge Stadt mit 420.000 Einwohnern und zugleich Hauptstadt der Woiwodschaft Westpommern. Es gibt hier elf Hochschulen mit insgesamt 53.000 Studenten. Wirtschaftlicher Schwerpunkt war bis vor kurzem die Werft, lange Zeit die Nummer eins in Polen. Stettin ist auch eine Stadt wirtschaftlicher und sozialer Gegensätze. Trotz des Baus eines überdimensionierten Büro- und Geschäftsviertels am Plac Rodla beträgt die Arbeitslosigkeit in der Stadt über fünfzehn, in der Woiwodschaft über 25 Prozent.

Das Verhältnis zu den Deutschen, und auch zur deutschen Geschichte der Stadt, hat sich inzwischen normalisiert. Das liegt zum großen Teil am Interesse der jungen Stettiner an der Kulturgeschichte der Stadt, das sie auch mit vielen Deutschen teilen. Ein Ausdruck davon ist auch die so genannte Grenzlandliteratur, mit der sich polnische Autoren mit der widersprüchlichen Inbesitznahme deutscher Städte und Häuser durch ihre neuen polnischen Bewohner beschäftigen. Als vor zwei Jahren die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza ihre Leser den Stettiner des Jahrhunderts wählen ließ, landete Piotr Zaremba, der erste polnische Stadtpräsident, zwar an erster Stelle. Auf Platz zwei folgten mit Hermann Haken und Friedrich Ackermann aber zwei Deutsche. Der eine ließ als Oberbürgermeister zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Hakenterrassen bauen, sein Nachfolger Ackermann stand der Stadt bis 1931 vor. WERA