Die Eule am Ende

Ullstein wird 125 Jahre alt – und ist längst nur noch Springer-Anhängsel. Seitdem die „Morgenpost“ zugunsten der „Welt“ ausgeschlachtet wird, ist es mit dem Traditionsunternehmen endgültig vorbei

von STEFFEN GRIMBERG

„Ullstein“, „Axel Springer“: Beide Namen stehen bis heute über dem Eingang des Hochhauses in der Kochstraße. Ullstein links, Springer rechts. Zum 125. Geburtstag des Traditionsunternehmens (Markenzeichen: ein Eulentier) gibt es dieser Tage die für schöne Leichen gebotenen Artigkeiten: „Das ethische Erbe, das Axel Springer übernommen hat, wird […] mit Dankbarkeit ins 21. Jahrhundert getragen“, verkündet Verlegerwitwe Friede. Und spätestens dort endgültig begraben: Ullstein, so heißt heute noch ein Buchverlag unter vielen – und eine Zeitungsholding, der die Titel ausgehen. Seitdem die Berliner Morgenpost redaktionell zugunsten von Springers Welt ausgeschlachtet wurde, ist die Eule am Ende.

Zumal auch bei der BZ, dem anderen noch formal existierenden Ullstein-Blatt, Vereinigungsgelüste mit der Berliner Ausgabe der Springer-Überschwester Bild auszumachen sind. Als Markennamen bleiben die Titel natürlich erhalten, dahinter stecken dann aber nicht nur beim Verlag, sondern auch in der Redaktion ganz überwiegend dieselben Köpfe. „Die Berliner Morgenpost schärft ihr Profil durch eine in Fachkreisen als revolutionär angesehene Kooperation. Sie bildet eine Redaktionsgemeinschaft mit der Zeitung Die Welt“, lautet diese aufseiten der MoPo alles andere als gewollte Zwangsgvereinigung im offiziellen Springer-Sprech. Und über all diesem Verschwinden publizistischer Vielfalt thront Ex-ZDF-Intendant Dieter Stolte als Herausgeber.

„Die einstige Bedeutung des Namen Ullstein ist nur noch Erinnerung“, heißt es denn auch passend in einem etwas gefälligen, aber insgesamt runden TV-Porträt des Jubiliars. Gedreht natürlich nicht vom ZDF, sondern vom Sender Freies Berlin (Sendetermin: Di., 21.25 Uhr, SFB 1). So ganz habe das ja auch nicht zusammengepasst, die redaktionelle Haltung der Ullsteins „eher links von der Mitte“ und die „konservative Linie“ des jungen Verlegers Axel Springer, erinnert sich im Film Marion von Rautenstrauch, Urenkelin des Firmengründers Leopold Ullstein.

Finanziell passte es dafür um so besser: „Aus meiner Sicht war die Ullstein AG Ende der Fünfzigerjahre konkursreif“, schreibt in der üppigen Springer-Festschrift zum Ullstein’schen 125sten der langjährige Springer-Vorstand Peter Tamm. „Die Ullsteins waren Herren“, so Tamm – und hingen als Verleger zu sehr den Erinnerungen an die großen Zeiten bis zum Zwangsverkauf 1934 nach. Damals war Ullstein europaweit das größte Verlagsunternehmen. 25 Jahre später sah Tamm ein „Haus ohne Innovationskraft, aber mit Geschichte“ – und ein gefundenes Objekt für den „norddeutschen Provinzverlag“ und seinen „jungen Verleger“ Axel Springer.

Der strebte damals Richtung Hauptstadt und sicherte sich 1956 ein erstes Viertel an der Ullstein AG. Über zwölf Wochen, berichtete damals der Spiegel, hätten sich die Verhandlungen zwischen dem „westdeutschen Zeitungsgroßherrn“ und den Ullstein-Anwälten um „Tante Marthas Aktien“ hingezogen, dann kündete eine schlichte Notiz in Springers Hamburger Abendblatt von der „Vereinbarung zwischen dem rüstig emporgekommenen und dem altrenommierten Zeitungsunternehmen“ (Spiegel). Zwei Millionen Mark hatte Springer für das Aktienpaket der Witwe von Louis Ullstein, einem der fünf Söhne des Verlagsgründers, bezahlt. Bis 1959 gelang es Springer, auch die restlichen Anteile von den durch die Nazidiktatur aus Deutschland vertriebenen und über die ganze Welt verteilten Ullstein-Erben aufzukaufen. Nach dem Vorbild des Hamburger Abendblatts, das sich „unter dem Heilsarmee-Spruch ‚Seid nett zueinander!‘ zur größten deutschen Tageszeitung“ (Spiegel) entwickelt hatte, bekam die Morgenpost sofort eine neue redaktionelle Ausrichtung verpasst.

Springers Rechnung ging auf. Bis heute ist die Morgenpost Marktführer im Westteil Berlins. mit Ullstein hat das alles nicht mehr viel zu tun. Und man darf getrost wörtlich nehmen, was Christoph Stölzl der Festschrift beizusteuern hatte: Ullstein, schreibt da der Exkultursenator, sei heute „beim Axel Springer Verlag im Hegel’schen Sinne ‚aufgehoben‘“.