Wer macht kracks?

Das Once-Team von Spitzenreiter Galdeano schreckt bei der Tour de France vor Majestätsbeleidigung nicht zurück

BERLIN taz ■ „Im letzten Jahr haben wir an Armstrongs gelbem Trikot nicht mal geschnuppert, diesmal könnten wir näher an ihm dran sein.“ Die Vorhersage, die Joseba Beloki vor der Tour de France 2002 wagte, hat sich bislang als ziemlich zutreffend herausgestellt. Das Bemerkenswerte: Die beiden Fahrer vom spanischen Once-Eroski-Team, Igor González de Galdeano und Beloki, lagen nach fünf Etappen ein paar Sekunden vor dem vermeintlich Unbesiegbaren und Galdeano fuhr zudem in gelb.

Normalerweise sind solche Abstände kein Grund zur Beunruhigung für den dreifachen Toursieger, schließlich hat Lance Armstrong am Montag das Einzelzeitfahren als Trumpf, bevor es in Pyrenäen und Alpen geht. Die beiden Once-Fahrer sind jedoch just die Konkurrenten, die er vor Beginn der Rundfahrt ein wenig gefürchtet hatte. Ihren Teamchef, den ausgefuchsten Manolo Saiz, nannte Armstrong „einen großen Motivator, der seine Jungs entflammt“. Des Spaniers Taktik der doppelten Attacke, die er einst mit Zülle und Jalabert schon erfolglos gegen Induráin probierte, bereitet ihm weniger Sorgen. Nach zwölf Tagen seien die Fahrer von Saiz meist kaputt: „Dann macht es kracks.“

Galdeano und Beloki waren begeistert, dass Armstrong ihr Team überhaupt erwähnt hatte, denn das zeige seinen Respekt. Wenn jemand zuzutrauen ist, eine etwaige Schwäche des Texaners auszunutzen, dann tatsächlich den Once-Fahrern. Beloki, Drittplatzierter der letzten Tour, ist stark in den Bergen und hat angekündigt, dass er diesmal angriffslustiger sein werde. Galdeano, 2001 Fünfter, ist ein exzellenter Zeitfahrer, der Armstrong im Juni beim Midi Libre in dieser Disziplin geschlagen hatte. Beide sind mit 28 im besten Radprofialter und sich einig: „Warum nicht in diesem Jahr?“

Das Streckenprofil der diesjährigen Tour mit den vielen flachen Etappen favorisiert eigentlich Galdeano, der aber auch schon seine Kletterfähigkeiten bewiesen hat, als er bei der Spanienrundfahrt 1999 Zweiter hinter Jan Ullrich wurde und eine schwere Bergetappe gewann. Irgendwann, das wissen beide Once-Stars, wird sich einer opfern müssen, um den anderen ganz nach oben zu bringen. Wer das sein wird, darüber machen sie sich keine Gedanken. „Das entscheidet Manolo.“

Dieser Manolo Saiz hat erst einmal die schwierige Aufgabe, auf den Flachetappen die Führung zu verteidigen, ohne vor den Bergen zu viel Kraft zu verpulvern und ein zu hohes Risiko einzugehen. „Wir denken an Paris“, sagt Galdeano, „wir wollen das Trikot nicht um jeden Preis behalten.“ Die Stärke des Once-Teams liegt nach übereinstimmender Aussage auch darin, dass es eine perfekt funktionierende Mannschaft ist. Mit Abraham Olano steht den beiden Spitzenleuten ein erfahrener ehemaliger Siegfahrer zur Seite, dazu das Arbeitstier Jörg Jaksche, der „große deutsche Klassemann“ (El País), der in Spanien offenbar sein Glück gefunden hat. „Ich trage zwar physisch das gelbe Trikot, aber eigentlich tragen wir es alle“, sagte Galdeano generös nach dem Mannschaftszeitfahren, bevor er Jaksches Anteil am Etappensieg pries.

„Wir können viel Schaden anrichten“, ist sich Beloki sicher; ob es reicht gegen einen Lance Armstrong in offenkundiger Topform, steht auf einem anderen Blatt. „Wir wissen, dass er die Nummer eins ist“, sagt Galdeano, „aber wir werden gegen ihn kämpfen.“ Gutes Omen: Die letzten Spanier, die das Gelbe Trikot trugen – Luis Ocaña, Pedro Delgado, Miguel Induraín – haben allesamt die Tour gewonnen. Doch Igor González de Galdeano weiß nur zu genau: „Wenn das Rennen beginnt, ist alle Geschichte vergessen.“ MATTI LIESKE