Stereotypen-Kaleidoskop

Risiko des Missverstandenwerdens inklusive: Auf die immer noch andauernde Ambivalenz der deutsch-polnischen Beziehungen verweist die binationale Karikaturenausstellung „Nachbarn“

von ANNA MÜLLER

Karikaturenausstellung. Nachbarschaftsausstellung. Resümee der deutsch-polnischen Beziehungen der vergangenen Dekaden: Es ist eine ambitionierte Schau, die die Deutsch-Polnische Gesellschaft Hamburg zu ihrem 30-jährigen Bestehen hierher geholt hat. Seit 2000 tourt die in Privatinitiative konzipierte Ausstellung durch Deutschland und Polen, war bereits in Berlin, Leipzig, Warschau und Kiel zu sehen.

Nachbarn lautet der schlichte, nicht schlichtende Titel der Schau, die 80 Zeichnungen von 21 polnischen und deutschen Karikaturisten versammelt, die ein getreues Abbild aktueller und vergangener Klischees abgeben: „Wir waren noch nie in Polen! Nur unser Auto!“, sagt ein gediegenes deutsches Ehepaar auf einer Zeichnung von Rainer Schwalme. „Polen? Ach ja. Zwei Päpste kommen aus Polen: der Reich-Ranicki und der andere –wie hieß er gleich...“, sinniert Otto Normaldeutsch auf einem Blatt von Joan Cozacu. Eine Gans vervollständigt bei Thomas Plassmann deutsche Schüler-Assoziationen über Polen.

Dass all dies authentischer Ausdruck dessen ist, was immer noch durch viele Köpfe geistert, kann man nur vermuten. Zugleich offenbaren gerade solche Zeichnungen die Gratwanderung, die der – auch ironische – Umgang mit Stereotypen immer bedeutet. Denn das Risiko des Missverstandenwerdens birgt sie immer, die Tatsache, dass Karikaturen Klischees zunächst wiederholen, um sie dann zeichnerisch zu brechen. Und wehe, wenn man die Manipulation nicht bemerkt und in ein „Genau so ist es!“ ausbricht, wenn auf diesen Blättern von polnischen Autodieben die Rede ist.

Kontraproduktiv sind aus solcher Perspektive Karikaturen, die über die Darstellung des Ist-Zustandes nicht hinausgehen – es sei denn, sie kommen so geschickt daher wie die von Henryk Sawka: „Die Deutschen kommen zurück!“, rufen da zwei polnische Bauern, entsetzt auf den – original ausgestattet! – wiederkehrenden deutschen Flüchtlingstreck blickend. Eine fein ironische Offenbarung der Ängste der – selbst im Zuge der „Westverschiebung“ nach dem Zweiten Weltkrieg ins heutige Westpolen vertriebenen – Bevölkerung. Und wieder: „Die Deutschen kaufen unser Land“, schreien auf einem anderen Blatt polnische Besucher eines Berliner Polenmarktes, auf dem deutsche Bauern soeben gekaufte Pflänzchen wegschleppen. Eine an das polnische Publikum gerichtete gelungene Ent-Mystifizierung eigener Ängste, die auf historischen Traumata beruhen.

Originell auch – obwohl das Thema selbst schon Klischee ist – die Papst-Karikatur von Rainer Ehrt: „Willst Du es nicht endlich einsehen, Nikolaus?“ sagt der Papst, über eine Himmelskarte gebeugt, zu Kopernikus und legt die Erde anstelle der Sonne ins Zentrum – eine Zeichnung, die sich auf Kopernikus‘ Rehabilitation anno 1993 bezieht. Weitere – in einer solchen Schau obligatorische – Themen: Brands Kniefall von 1970 am Mahnmal für die Opfer des Aufstandes gegen die Nationalsozialisten im Warschauer Ghetto sowie die 1990 endgültig als Staatsgrenze anerkannte Oder-Neiße-Grenze.

Doch das eigentlich Interessante an dieser Karikaturensammlung sind die kreativen, analytischen, quasi-visionären Zeichnungen Zygmunt Januszewskis: Aus einem festen Requisiten-Fundus bedient sich der Warschauer Karikaturist. Er komponiert seine Bilder aus marionettenartigen Figuren, Pfeilen und geometrischen Elementen.

Janusköpfig sind bei ihm die deutsch-polnischen Beziehungen: Der deutsche Seppel hat hinten eine polnische Spitznase. Auf die deutsch-polnische Schulbuchkommission, die sich seit 1972 um eine nicht-ideologische Darstellung wechselseitiger historischer Ereignisse in Geschichtsbüchern bemüht, bezieht sich seine Karikatur Unsere Geschichte: Mit großen Augen blicken einander zwei Seiten eines gemeinsamen Buches an, dasn zugleich Kopf eines imaginären Geschichtsschreibers mit zwei Griffeln ist.

In ein Gewirr aus geometrischen Pfeilen ist auf dem Blatt Nichts ist unmöglich ein deutsch-polnischer Stuhl wie in Koordinaten eingebettet: Mühsam wird das aus den jeweiligen Nationalfarben bestehende Möbel vermessen. Und noch ist nicht klar, ob Sitzfläche (deutsch) und Lehne (polnisch) wie errechnet zusammen passen werden. Und so bleibt offen, ob die Vision einer intakten, von genügend Information unterfütterten Nachbarschaft je der Realität entsprechen wird.

Nachbarn. Leo-Lippmann-Saal der Finanzbehörde, Gänsemarkt 36; bis 19. Juli;Mo-Fr 9-17 Uhr