Die drei Tode des Peter K.

Nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen Flüchtigen werden gegen den Beamten keine Ermittlungen eingeleitet, weil das Opfer ohnehin gestorben wäre

In der Hamburger Polizeiführung herrscht sprichwörtlich „Holland in Not“ – Erklärungsnot. Wieso löste sich am Sonntagmorgen bei der Verfolgung des 36-jährigen Peter K. ein Schuss aus der Pistole eines 37-jährigen Polizisten, so dass K. von der Brüstung eines Parkdecks zehn Meter in die Tiefe und in den Tod stürzte? Für Polizeipräsident Udo Nagel ist der Vorfall zwar ein „schreckliches Ereignis“ – K. hinterläßt eine 5-jährige Tochter und eine Lebensgefährtin – aber für Polizei und Staatsanwaltschaft kein Grund, gegen den Kommissar zu ermitteln. „Wir haben ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, ob ein Fremdverschulden vorliegt“, so gestern der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger, auf einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium. „Das richtet sich gegen keine konkrete Person.“

Denn eine eilig in der Gerichtsmedizin durchgeführte Sektion und ein vorläufiges Gutachten hätten ergeben, dass Peter K. im Prinzip drei Tode gestorben ist. Bagger: „Es gibt drei Verletzungen, die alle für sich allein zum Tode geführt hätten.“ So sei beim alkoholisierten Opfer eine Verletzung der Brustschlagader festgestellt worden, die durch den Unfall in der Schillerstraße enstanden sein könnte, auf der Flucht nach dem Durchbrechen der Polizeisperre. „Dass jemand damit eine Zeit noch laufen kann, ist nicht außergewöhnlich“, so Bagger. Zudem seien durch den Sturz in die Tiefe und den daraus resultierenden Rippenbrüchen innere Blutungen ausgelöst worden.

Nur die Verletzung der Beckenschlagader sei wohl ursächlich durch den Polizeischuss von unten nach oben durchs Gesäß verursacht worden. „Ob der Sturz durch die Abgabe des Schusses verursacht worden ist, müssen nun die weiteren Ermittlungen und Gutachten ergeben.“ Der betroffene Beamte sollte gestern Abend vernommen werden.

Nach Auffassung von Polizeipräsident Nagel hat der Kommissar völlig korrekt gehandelt. „Die betreffende Person sollte festgenommen werden, weil der Verdacht eines Tötungsdeliktes vorlag“, verteidigt Nagel das Vorgehen. „Der Beamte war verpflichtet, die Waffe zur Eigensicherung und Sicherung anderer Kollegen zu ziehen.“ Als die Beamten den flüchtigen Mann auf dem Sims liegend vorfanden, „war es dort morastig und glitschig“, sagt Landeskriminalamtschef Rheinhard Chedor. Ob er runtersteigen oder springen wollte oder abgeruscht sei, läßt Chedor offen: „Aus der Festnahmeaktion ist eine Rettungsaktion geworden, bei der es zur unbeabsichtigten Abgabe des Schusses kam“, ist Nagel sicher: „Es wäre unmenschlich gewesen, die Waffe wegzustecken und dann mit beiden Händen nach vorn zuzupacken.“

In vielen Teilen des Polizeiapparats sieht man indes den Fall anders. Dort hat es Entsetzen und Unverständnis ausgelöst, das ausgerechnet ein an sich erfahrener Kommissar gegen alle Regeln verstoßen habe. „Es lag keine Bedrohungssituation vor“, so Insider. „Der Mann muss als verwirrte und hilflose Person zu erkennen gewesen sein. Wenn man ihm wirklich helfen will, geht man nicht mit entsicherten Pistole in der Hand an ihn ran.“ KAI VON APPEN