„Geh nicht allein!“

Der US-Amerikaner Daniel Pearl war einmal unvorsichtig

BERLIN taz ■ Die Aussicht auf einen Scoop, eine Exklusivgeschichte, ließ Daniel Pearl unvorsichtig werden. Er wusste, dass Recherchen in Pakistans Islamistenmilieu gefährlich sind. Wohl deshalb hatte er sich noch am Nachmittag vor seiner Entführung am 23. Januar 2002 in der Hafenstadt Karatschi mit dem Citizens-Police Liaison Committee, einer Nichtregierungsorganisation, über sein geplantes Treffen mit einem Islamistenführer beraten. „Geh nicht, und wenn, dann nicht allein, und trefft euch nur an einem öffentlichen Ort“, lautete deren Rat laut Newsweek.

Der US-Amerikaner Pearl galt als erfahrener und vorsichtiger Korrespondent. Erst kurz zuvor hatte er es abgelehnt, aus Afghanistan zu berichten. Dort sei es zu gefährlich, und er wolle seine schwangere Frau nicht allein lassen. Die Aussicht auf ein Treffen mit mutmaßlichen Komplizen des „Schuhbombers“ Richard Reid, der zu Weihnachten in einem American-Airlines-Jet eine Sprengladung in seinen Schuhen zünden wollte, ließ Pearl jedoch offenbar seinen Instinkt und die Warnungen missachten. Vor dem Treffpunkt, einem Restaurant, stieg er in ein wartendes Auto und verschwand.

Der 38-jährige Journalist leitete seit Dezember 2000 das Südasienbüro des Wall Street Journal in Bombay. Bereits seit zwölf Jahren arbeitete der Stanford-Absolvent für das Wirtschaftsblatt. Meist recherchierte er gemeinsam mit seiner Frau, der französischen Journalistin Mariane Pearl. Weil sie im sechsten Monat schwanger war und sich an jenem Tag im Januar nicht wohl fühlte, blieb sie im Hotel zurück.

Pearls Kidnapper von der bis dahin unbekannten islamistischen Gruppe „Nationale Bewegung für pakistanische Souveränität“ stellten ihre Forderungen nach Freilassung gefangener al-Qaida-Kämpfer per E-Mail und unterstrichen diese mit Videoaufnahmen, die Pearl mit einer Pistole am Kopf zeigten. In ihrem letzten Video schnitten sie ihm die Kehle durch. Weil Pearl Jude war, behaupteten sie, er sei Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad. Zuvor hatten sie ihm vorgeworfen, CIA-Agent zu sein. Beides wurde von seiner Frau und dem Wall Street Journal dementiert.

Nach Pearls Tod wurde in den USA die Daniel-Pearl-Stiftung gegründet. Sie fördert interkulturelle Verständigung durch Journalismus und andere Kommunikationsformen. SVEN HANSEN