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Spiel nicht mit Betonwurzeln

taz-Serie „Berliner Bergwelt“: Anderswo stehen die Bunker als Museum, als Aussichtsplattform oder gar nicht mehr. Berge über Bunkern sind selten. Der Volkspark Friedrichshain hat gleich zwei

Horst-Günter hat den Bunker noch gesehen: „Auf der Flak fahren Kinder Karussel.“Den Bunker zum Berg zu machen, ist das eine. Ihn zur Höhle zu machen, das andere

von THOMAS MARTIN

Dass Bunker Berge sind, wird man in Berlin eher als anderswo wissen. Dass Berge innen hohl sind, weiß jedes Kind. Manches Kind ist nicht umsonst im Berg geblieben, vor allem in solchen, die Zauberberge sind.

Zu denen gehört dank des technischen Fortschritts der zurückliegenden Jahrhunderthälfte auch der Bunkerberg. Im Volksmund, im berlinischen, heißt das dann oftmals Mont Klamott. Vornehme sagen Trümmerberg. Eigentlich sagt niemand mehr was anderes als Friedrichshain, von wenigen älteren abgesehen, und auf die hört man ja nicht. Friedrichshain bezeichnet einen Doppelstadtbezirk von 20 Quadratkilometern sowie die 52 Hektar Volkspark gleichen Namens im Osten der Stadt.

Friedrichs Hain. Als Grüne Lunge vor 150 Jahren angelegt und in Etappen bürgerlich verschönt, ist er heute mehr als andere der Stadt, ähnlich dem Tiergarten im Westen, dem Tierpark Friedrichsfelde im Nordosten, ein mit historischen Stolpersteinen voll gestellter Parcours. Hier ist kein Schlossfundament zu heben, kein Reichskanzleimarmor verbaut. Hier warten 2,5 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt auf ihren jüngsten Tag.

Wie viel Tonnen Knochenmehl dazugehören, kann niemand sagen. Sieht man sich eine der Fotografien um 1950 an, als rings um den betongesäumten Krater Trümmerloks von Schmalspurschienen ihre Loren zum größten Trümmerberg der Hauptstadt kippten, kann man wenigstens ahnen, dass hier nicht nur die Gemäuer, auch die Inhalte von 70.000 Wohnungen und 800 Fabrikgebäuden zum Kompost kamen. Gepflasterte, von Balustraden gesäumte Wege zeigen die Serpentinen der Bahn um den Krater, der heute als Berg sein Gegenteil beweist.

Manchmal wirkt er auch vulkanisch. Manchmal, nicht selten, eigentlich irgendwann immer kommt Geschichte wieder vor. Und so kann es aussehen, wenn die Erde sich öffnet und freigibt, was sie lang behalten hat. Hier kommt die Geschichte in Form einer deutschen Stahlbetonplatte nach oben. Genauer: in Form eines schief gelegten Oktogons mit runden Ecken. Der Bunker ist der Zweckbau überhaupt. Das wussten schon die Kinder. In der Nachkriegsschüleraufsatzsammlung „Ich schlug meiner Mutter die brennenden Funken ab“ sind ihre gar nicht kindlichen Beobachtungen zu finden. Horst-Günter, Jahrgang 1935, hat den Bunker noch gesehen: „Gestern, am Sonntag war ich mit meiner Mutter am Friedrichshainbunker, und wir wollten uns denselben ansehen. Der Hochbunker steht zum Teil noch; er ist nur in der Mitte durchgeplatzt und an der einen Seite ist sehr entzwei. Es stehen noch drei Geschütze darauf. Auf der kleinen Flak sitzen Kinder und fahren Karussel.“

Wenn er noch lebt, geht Horst-Günter auf die 70 zu, und von allem, was er vor 56 Jahren da gesehen hat, sind nur ein paar Betonwurzeln geblieben. Die achteckige Platte trug zwei Geschütze, die von 28 Meter Höhe aus den Himmel durchlöchert haben. Die rostigen Strünke ringsum sind der Rest vom Geländer, das die Flak-Soldaten vor tiefem Fall bewahren sollte. Heute ist das nicht mehr nötig. Der Berg ist 50 Meter höher, als Geländer stehen Bäume. Allierte Geschwader greifen nicht mehr an, und schlimmer als die Eichhörnchen ist nur die Joggerplage, gegen die eben wegen des dichten Baumbestandes und aus Tierschutzgründen keine Bomber eingesetzt werden können.

Man kann sie, die Läufer, aber in die Löcher locken, die sich allmählich wieder auftun. Man kann ihnen auflauern, kann sie den Abhang abwärts stoßen. Man kann aus neu geborenen Trümmerresten Lawinen anrichten. Es gibt Möglichkeiten, vor allem hier, wo das Innere langsam und überwachsen nach außen drängt. Die Erosion hat den spärlichen Waldboden vom Bunkerdach gefegt, die Bäume stecken wie begrünte Sonden im meterdicken Stahlbeton. Es ist weniger Gefahr als die dunkle Seite der Geschichte, die einem hier, wenn man nicht aufpasst, auf die Füße fällt. Für Kinder von heute ist das immer noch Sesam: Sie schnüffeln an den Ritzen, schmeißen Steine rein, um zu hören, wie tief es unten klingt, sie klettern und sie spielen Krieg. Und manchmal verschwinden sie darin.

Einen Bunker zum Berg zu machen, ist das eine. Das andere ist, ihn zur Höhle zu machen. Ich konnte das als Kind erleben. Am Waldrand von Adlershof lag ein Bunker wie Spuk. Die Bewehrung ragte wie Fischbein aus dem Kadaver, und wer Mumm hatte, stieg rein, um wenigstens eine Schrecksekunde lang den Gestank, die Kälte und die Dunkelheit zu fühlen. Wer Mut hatte, brüllte üble Sachen, und wer schon in der Schule war, schrieb mit Kerzenruß die Wände voll. Hakenkreuze zum Beispiel oder Fotze mit V. Oder jemand schmiss sein totes Meerschweinchen rein.

Ich war schon ein Schulkind, als der Bunker zugeschüttet wurde, nachdem ein Junge nur als Leiche mit der Polizei zurückgekommen war. Man wusste nie, was wirklich da drinnen passiert war, ob man da ersticken konnte, ob da Menschenfresser waren oder grundlose Schluchten. Am Ende war es der Triebtäter von nebenan.

Heute gibt es das wohl nur noch in Albanien mit der höchsten Pro-Kopf-Bunkerdichte der Welt. Anderswo stehen die Bunker als Museum, als Aussichtsplattform oder gar nicht mehr. Es gibt den Charme der Wiener Bunkerkegeltürme, die im Stadtinnern nicht gesprengt werden können; es gibt die rustikale Aura des Bunkers an der Reinhardtstraße, in dem erst VEB Obst & Gemüse sein Quartier hatte, dann Techno, dann die Bauaufsicht. Berge über Bunkern sind selten. Der Friedrichshain hat zwei. Den Großen und den Kleinen Bunkerberg.

So ist es wieder mal Hitler als bleibendem Architekten Europas zuzuschreiben, dass aus dem behäbigen, mit märkischer Hügellandschaft voll gestellten Park schließlich ein städtisches Gebirge mit Klüften, Schluchten, Gletschern und historischen Abfahrten wurde. Und mehr als alle Bronzen, die der Park je hatte von der rasenden Diana, den sterbenden Kriegern, dem abgestellten Drachentöter, den DDR-Relikten, der Hiroshima-Glocke bis zum wiederaufgebockten Friedrich II., stehen die Bunkerberge als Denkmal der Trümmerfrauen und sind die Rasenbank gleich mit.

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