Wirtschaft stellt dreigliedrige Schule grundsätzlich in Frage

Nach dem Handwerkstag im Südwesten übt nun auch McKinsey radikale Kritik am Schulsystem: Die frühe Auslese fürs Gymnasium beschränkt die Zahl der Gutqualifizierten

BERLIN taz ■ Die SPD bekommt in der Schuldiskussion unerwarteten Rückenwind. Die weltweit operierende Unternehmensberatung McKinsey hat ausdrücklich das Ziel der Bundesregierung für richtig erklärt, mit seinen Schülerleistungen bald in die Spitze der OECD vorzudringen. „Deutschland hat so schlechte Ergebnisse“, sagte Annet Aris, Partnerin bei McKinsey, „dass es wichtig ist, sich sehr ehrgeizige Ziele zu setzen.“ Die leitende McKinsey-Beraterin teilte damit keine persönliche Einschätzung mit, sie präsentierte das Ergebnis des Projekts „McKinsey bildet“, das im Herbst offiziell vorgestellt wird.

McKinsey hat alle Schulvorschläge, die seit der internationalen Schulleistungstudie Pisa auf den Markt kamen, in einer Synopse verglichen. Die daraus abgeleitete Handlungsstrategie ähnelt dem, was der Bundeskanzler für die Schulen propagiert: einem nationalen Kraftakt.

Aris sagte, bei McKinsey betrachte man die Ergebnisse von Pisa als Anzeichen für ein massives Schulproblem der Industrienation Deutschland. Deutsche Schüler und Schulen brächten viel schlechtere Leistungen als die konkurrierender OECD-Staaten. Um aus dieser Situation herauszukommen sei Bulmahns Zeitstrategie die richtige. „Wir wollen in zehn Jahren wieder unter den fünf besten Bildungsnationen sein“, hatte die Bildungsministerin angekündigt.

Die Vorschläge von McKinsey sind viel radikaler als die der großen Parteien. Aris sagte, „es wäre am besten, die Lehrpläne in Deutschland komplett abzuschaffen“. Stattdessen sollten „hoch gesteckte“ Bildungsziele verabschiedet werden. Eine Debatte über solche Bildungsstandards gibt es bereits – allerdings mit dem Unterschied, dass die SPD den Bund als Antreiber beteiligen will, die Union die Standards aber von den Länder erarbeiten lassen möchte.

Die Unternehmensberater von McKinsey sind auch bereit, die heilige Kuh der deutschen Bildungsnation zu schlachten: die frühe Aufteilung von zehnjährigen Schülern in drei getrennte Schulformen. Man müsse, heißt es dazu in einem Papier, „die Diskussion um eine spätere Trennung der Schüler nach Schularten vorurteilsfrei und faktenbasiert führen“. Annet Aris nannte die Fakten für eine spätere Schulwahl. Viele Kinder fänden erst mit dem zwölften Lebensjahr oder gar später echtes Interesse an der Schule. „Ein Aufschieben der Gymnasialentscheidung um ein paar Jahre würde schon etwas bringen“, sagt Aris. In der Bundesrepublik ist es üblich, anders als in den meisten OECD-Staaten, bereits in der vierten Klasse die Entscheidung für das Abitur definitiv zu fällen.

Generell ist derzeit der Druck auf die dreigliedrige deutsche Schule vonseiten der Wirtschaft am stärksten. Wie berichtet (taz vom 13. Juli) hatte der Handwerkstag in Baden-Württemberg das Schulsystem in Frage gestellt. Die Lobby für über 100.000 mittelständische Unternehmer fordert eine neunjährige Schule für alle, um so mehr und besser qualifizierte Jugendliche zu bekommen. Erst danach solle sich das Gymnasium anschließen. Das entspricht dem Modell des Pisa-Spitzenreiters Finnland, der 60 Prozent eines Jahrgangs zur allgemeinen Hochschulreife führt und weiteren 30 Prozent ein Berufsabitur verleiht. In Baden-Württemberg machen nur 28 Prozent eines Jahrganges Abitur.

Hartmut Richter vom Handwerkstag sagte, kein Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik spüre die Verknappung von technikinteressierten, gut gebildeten Jugendlichen wie das Handwerk im Südwesten. „Die Zahl an interessierten Jugendlichen ist ohnehin gering“, sagte Richter der taz, „unser Handwerk aber konkurriert um diese jungen Leute noch mit Weltfirmen wie DaimlerChrysler.“

Baden-Württemberg ist damit Musterbeispiel eines hoch entwickelten Industrielandes. Obwohl das Land laut nationalem Pisa-Vergleich seine Qualifikationsreserven optimal ausnutzt, geht ihm der gut gebildete Nachwuchs aus. Das heißt, dem dreigliedrigen Schulsystem gelingt es nicht, genug Qualifizierte auszubilden – insbesondere im Segment der gut und überdurchschnittlich gebildeten Jugendlichen. Die Handwerker sehen daher das Potenzial der dreigliedrigen Schule begrenzt: „Mit einer guten Position in der zweiten Liga kann sich unser hoch entwickeltes, vom Qualitätsstandard seiner Menschen zentral abhängiges Land nicht zufrieden geben.“ CHRISTIAN FÜLLER