Globalisierungskritiker aus den Anden

Der Kokabauer Evo Morales hat mit seinem Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen in Bolivien für Wirbel gesorgt

„Unser Erfolg ist ein harter Schlag für das System“, sagt Evo Morales, „das Volksbewusstsein hat über die Neoliberalen gesiegt.“ Zu Recht fühlt sich der Wortführer der bolivianischen Kokabauern als Gewinner der diesjährigen Wahlen – auch wenn ihm der Einzug in den Präsidentenpalast von La Paz verwehrt bleibt.

Mit verblüffenden 21 Prozent und 35 Abgeordneten sind er und seine „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) aus dem Stand zur zweitgrößten politischen Kraft des Andenlandes geworden. In der MAS hat Morales einen bunten Haufen von AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen hinter sich versammelt: indigene Kleinbauern, Gewerkschafter, linke Akademiker, Mitglieder von Bürgergruppen und der Ayllus, der Dorfgemeinschaften der Aymara-Indianer. Für ihre Anliegen wollen sie „im Parlament und auf der Straße“ arbeiten, eine Koalition mit etablierten Parteien schließen sie aus.

Eine Legalisierung des Kokaanbaus, die Verstaatlichung der Erdgasvorkommen, ein Schuldenmoratorium – wegen solcher Forderungen, die auch außerhalb seiner Wählerschaft auf breite Resonanz stoßen, ist der 42-jährige Aymara Morales ein rotes Tuch für Washington und das bolivianische Establishment. Als es bei einem Zusammenstoß zwischen Kokabauern und Polizisten im Januar Tote auf beiden Seiten gab, wurde er als „Aufwiegler“ aus dem Parlament ausgeschlossen.

Aufgewachsen ist der Bauernsohn zusammen mit seinen sechs Geschwistern im kalten Andenhochland südlich von La Paz. Die Schule verließ er vor dem Abitur. Eine Dürre trieb ihn in die Kokaanbauregion Chapare, wo er sich bereits 1981 in der Bauerngewerkschaft engagierte und sich als Trompeter über Wasser hielt. Zehntausende entlassener Minenarbeiter suchten damals ihr Heil im Kokaanbau. Seit 1994 ist Evo Morales Chef der „Cocaleros“, die sich im Jahr darauf erstmals erfolgreich an Kommunalwahlen beteiligten. 1997 zog er mit dem landesweit besten Einzelergebnis ins Abgeordnetenhaus ein.

Die Erdgöttin Pachamama leite ihn, versichert Morales. Er bekennt sich zu Bescheidenheit, Gleichheit und gegenseitiger Hilfe, den Werten der Aymara und Quetchua. Sein Vater, erzählt er, habe ihm Respekt und Solidarität beigebracht: „Er sagte immer: Wenn du Essen hast, teilst du es mit den anderen.“ Als eine Dürre die Gemeinschaft heimsuchte, tauschte Dionisio Morales 50 seiner Schafe gegen Mais ein und verteilte das Getreide unter seinen Nachbarn – ein Schlüsselerlebnis für den elfjährigen Evo. „Er war arm, er ist mit den Lamas durchs Hochland gewandert, er kennt unsere Realität“, sagt der junge MAS-Aktivist René Santos. Deswegen gilt der relativ hoch gewachsene Morales unter Indígenas als einer der Ihren, dabei spielen „ethnische“ Fragen bei ihm kaum eine Rolle.

Der Widerstand gegen die Vernichtung der Kokafelder hat Evo Morales bekannt gemacht. Doch längst geht sein radikaler, mitunter leicht demagogischer Diskurs über die Verteidigung der „heiligen“ Kokapflanze hinaus. Von den USA fordert er „Respekt auf Gegenseitigkeit“, billige Agrarimporte lehnt er ebenso ab wie die Ausbeutung der bolivianischen Erdgasabkommen durch die Multis. „Nun wollen wir die Gesetze auf parlamentarischem Weg ändern“, kündigt er an. Wenn das nicht gelinge, drohe ein Volksaufstand.

GERHARD DILGER