Hilflose Beute der Warlords

Weil sich die nordafghanischen Warlords Abdul Raschid Dostum und Atta Mohammed um die Stadt Masar-i Scharif streiten, ist die Region die unsicherste des Landes. Hilfsorganisationen fordern vergeblich den Einsatz der internationalen Friedenstruppe

Viele konkurrierende „Polizisten“ statt eine kleine gemeinsame Polizeitruppe

aus Masar-i Scharif PETER BÖHM

Sie bekriegen und sie necken sich. So müsste man die Beziehung der zwei mächtigsten Warlords im Norden Afghanistans, des Tadschiken Atta Mohammed und des Usbeken Abdul Rashid Dostum, zusammenfassen. Erst lassen sie ihre Milizen gegeneinander antreten, dann bringt sie die UNO an einen Tisch, wo sie nach Angaben von Teilnehmern die Kunst der leichten Phrase pflegen, und dann geht das Spiel wieder von vorne los.

Ende Juni war es wieder soweit. Die Medien meldeten Kämpfe zwischen den lokalen Kommandeuren der beiden im Sar-i-Pul-Distrikt, südwestlich von Masar-i Scharif. Die UN-Mission in Afghanistan (Unama) und diesmal sogar zwei US-Generäle beeilten sich zu vermitteln. Zum vierten Mal setzten Atta Mohammed und Dostum daraufhin eine gemeinsame Kommission ein, die sich regelmäßig treffen soll, um die Spannungen abzubauen.

Zum Ort der Kämpfe fuhr eine von der Unama geleitete Untersuchungsgruppe. Dostums Truppen haben mehr als ein Dutzend Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht, sagt die Unama-Chefin in Masar-i Scharif, Zenja Bagasic. Aber Anzeichen, dass Häuser niedergebrannt und tausende vertrieben wurden, wie es in Medienberichten hieß, fand sie nicht. Ende April hatte es in der Stadt Sar-i Pul und im angrenzenden Scholgara-Distrikt schon einmal Gefechte gegeben. Und am Montag vergangener Woche erreichten Masar-i Scharif Berichte, dass es wieder schwere Kämpfe in der größten Stadt des Scholgara-Distriktes, Baba-Ewas, gibt. In den beiden Distrikten ist die Lage am explosivsten, denn grob verläuft dort die Grenze zwischen den Kommandeuren, die mit Dostums Junbesch-i Milli und mit Atta Mohammeds Dschamaat-e Islami verbündet sind. Die westlichen Gebiete sowie Teile der Samangan-Provinz kontrolliert Dostum, alles östlich davon Atta Mohammed.

Eigentlich hatte die große Ratsversammlung (Loja Dschirga) im Juni in Kabul zur Versöhnung beitragen und dem Land einen legitime Übergangsregierung geben sollen. Aber im Norden haben sich die Spannungen nur verschärft. Denn die drei Schwergewichte der tadschikischen Pandschirfraktion von Atta Mohammeds Dschamaat-Partei – die natürlich ihn unterstützten – mussten in Kabul kaum Macht abgeben. Dschamaat kann weiter Posten und Ressourcen verteilen. Dostum ist zwar formal stellvertretender Verteidiungsminister und Gesandter des Präsidenten für den Norden. Doch diese Posten sind nicht mit realer Macht verbunden. Er steht unter großem Druck, seinen lokalen Kommandeuren zu zeigen, dass mit ihm noch zu rechnen ist, wenn er nicht langsam aus dem Norden vertrieben werden will. In der 500.000-Einwohner-Stadt Masar-i Scharif, der verlockendendsten Beute des Nordens, haben beide ihre Truppen stationiert und die Regierungsposten unter sich aufgeteilt.

Eigentlich hatten sie nach Verhandlungen der Unama im Februar eine gemeinsame Polizeitruppe von 600 Mann bilden sollen. Alle anderen Soldaten sollten das wichtige Handelszentrum Masar-i Scharif verlassen. Aber jetzt gibt es drei konkurrierende Sicherheitsorganisationen und viel mehr Soldaten in der Stadt, als dafür nötig wären. Die anderen „Polizisten“ haben sich in leeren Kasernen, Verwaltungsgebäuden, Häusern und Hütten an der Straße eingerichtet und fahren auf der Ladefläche von Pick-ups und mit Panzerfäusten über der Schulter durch die Stadt. Wenn es ihnen passt, stellen sie einfach einen Stuhl auf die Straße, blockieren mit einem Seil den Verkehr und kontrollieren dann die Autos.

In den Ministerien herrscht mehr Eintracht. Junbesch bekam das „Außenministerium“, Dschamaat das „Innenministerium“, und beide sowie die Hasara-Partei Hesb-i Wahdat, die dritte Fraktion im Bunde, haben ein eigenes Ministerium für Frauen und Soziales eingerichtet. Dass sich der eine oder andere in diesem Klima aufgefordert fühlt, sein Gewehr auch zu benutzen, erscheint nur natürlich.

Hilfsorganisationen haben das zu spüren bekommen. Auf Fahrzeuge wurde geschossen. Im Juni wurde eine Französin von sieben Milizionären vergewaltigt, mehrere Hilfsorganisationen wurden überfallen und ausgeraubt. Niemand wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Deshalb hat der Koordinierende Rat der Hilfsorganisationen in Afghanistan Ende Juni den UN-Sicherheitsrat aufgefordert, Soldaten der internationalen Sicherheitstruppe im Norden Afghanistan zu stationieren. Viele Bewohner von Masar-i Scharif wünschen sich das so sehr, dass in der Stadt schon das Gerücht umlief, der Termin dafür sei schon auf Mitte Juli festgelegt.

Aber die Isaf-Verantwortlichen sind vorsichtig, sich zwischen die Fronten zweier mit schweren Waffen ausgerüsteten Fraktionen zu wagen. Umso mehr, weil Atta Mohammed seine Abneigung dagegen nicht verhehlt. Dem Namen nach ist er nur der Kommandeur des 7. afghanischen Armeekorps. Aber die vielen Bittstellerdelegationen vor dem Dschamaat-Hauptquartier in Masar-i Scharif, die eine Krankenstation in ihrem Dorf wollen oder Probleme mit ihrem lokalen Kommandeut haben, zeigen deutlich, dass er der eigentlich starke Mann der Stadt ist. Zum Interview kommt er im Nadelstreifenanzug und wirkt so smart wie kalt berechnend. Er sagt: „Wir brauchen keine Isaf-Soldaten in Masar-i Scharif. Wir werden hier Sicherheit haben, sobald die Truppen aus der Stadt abgezogen sind.“ Er meint natürlich die von Dostum. Der will Isaf-Soldaten haben, weil er sich von ihnen eine Begrenzung der Macht seines Rivalen erhofft.