Expansion statt Regionalismus

Nach der Übernahme durch die Müller-Gruppe hat sich bei der ehemals staatlichen Molkerei Weihenstephan in Oberbayern einiges geändert. Während die Umsätze nur mäßig steigen, mehrt sich die Kritik. An der Qualität der Produkte liegt das nicht

aus München KATHRIN BURGER

Wer im oberbayerischen Weihenstephan studiert, weiß, dass er es gut hat. Die Zweigstelle der Münchner Technischen Universität in Freising ist eine der modernsten Hochschulen. Das studientechnische Paradies mit perfekt ausgestatteten Labors und gut bestückten Büchereien ist auch ein kulinarisches. Zwischen Mensa und Vorlesungsräumen liegen Gebäude der Molkerei und der ältesten Brauerei Deutschlands, der „Nährberg“. Was das heißt, zeigt sich besonders montags, wenn B-Ware der Molkerei für einen Spottpreis verkauft wird. Palettenweise tragen dann Doktoranden, Angestellte und Studis den cremigen Rahmjoghurt mit 10 Prozent Fettgehalt oder die Buttermilch mit Flöckchen weg.

Die „Blaue Linie“ der bayerischen Molkereiprodukte genießt bis in Deutschlands Norden einen guten Ruf. Die Marke vermittelt Reinheit, bayerische Tradition und glückliche Kühe. Die Weigerung, Light-Produkte auf den Markt zu werfen, macht die Molkerei für viele nur noch sympathischer.

Nichts weist darauf hin, dass sich bei der ehemals staatlichen Molkerei einiges geändert hat, seit die Müller-Gruppe die Molkerei aufgesogen hat. Die bayerische Staatsregierung war froh, das wirtschaftlich schwächelnde Unternehmen loszuwerden. Die Erlöse flossen in einen Topf, der Forschung und Wirtschaft unterstützt. Müller musste sich als Gegenleistung verpflichten, die Marke Weihenstephan zu erhalten. Außerdem, so die Bedingungen, müssten die Tarifverträge und Milchabnahmegarantien eingehalten, die Schulden übernommen, die Bindung an die Vertragsbauern, „die hohen Umweltanstrengungen weitergeführt“ und ein Forschungslehrstuhl an der TU über acht Jahre finanziert werden.

Hat sich Müller an seine Verpflichtungen gehalten? Die Marketingabteilung der Müller-Gruppe schweigt sich auf Anfrage der taz aus. „Eine entsprechende Berichterstattung ist nicht erwünscht“, erfährt man im Pressebüro in Aretsried bei Augsburg. Zahlen aus dem bayerischen Finanzministerium und vom Milchindustrieverband zeigen, dass der Umsatz stetig ansteigt. So erwirtschaftete das Unternehmen unter Staatshand 1998 338 Millionen Mark (rund 173 Millionen Euro), während es 2001 400 Millionen (205 Millionen Euro) Umsatz verzeichnete. 256 Millionen Euro ist die von Müller angepeilte Summe, mit der die horrenden Investitionen zu finanzieren wären. Im Jahr 2000 hatte Müller dafür den Marketingetat verdoppelt.

Direkt am Freisinger Nährberg entstehen nicht alle Produkte der Blauen Linie. Das war aber nie anders. So produzieren die Freisinger Frischmilch und H-Milch, Butter, Joghurt, Buttermilch und Sahne – alles, was in Einwegverpackungen in die Supermarktregale kommt. Die Herstellung von Milch und Sahne in der Flasche sowie von Camembert wurde dagegen ausgelagert.

Insgesamt arbeiteten vor dem Verkauf 340 Angestellte bei der Molkerei, heute sind es rund 370. In der Branche weiß man jedoch, dass das Personal praktisch komplett ausgetauscht wurde. Dazu musste den Mitarbeitern nicht gekündigt werden, sie gingen von alleine, wenn sie an andere Standorte versetzt wurden.

Dass man bei Müller mit Mitarbeitern nicht gerade sanft umgeht, kann auch Raimund Kamm, ehemaliger Landtagsabgeordneter der bayerischen Grünen, bestätigen. Jahrelang setzte er sich mit dem Unternehmen auseinander, zuletzt gerichtlich. Er berichtet zudem von ungeklärtem Fischsterben in der Nähe des Müller’schen Produktionsstandorts in Aretsried Anfang der Neunzigerjahre oder von Schwarzbauten.

Die Müller-Gruppe beweist sich als international ambitioniertes Unternehmen, wollte Anfang der Neunzigerjahre ihren Joghurt von deutschen Kühen über den Atlantik schippern. Dieser Plan blieb zwar unverwirklicht, aber die Expansion fand statt. Die Müller-Gruppe ist Marktführer in Deutschland und England, berichtet von stark anwachsenden Anteilen in Italien, pflegt Handelsbeziehungen in Dänemark und Osteuropa.

Passt das zur Regionalitätsphilosopie der Marke Weihenstephan? Beim staatlichen Betrieb standen Bauern aus den Regionen Freising, Erding, Wolfratshausen, Miesbach und Bad Aibling unter Vertrag. Diese Verträge laufen bis Ende dieses Jahres. Woher danach die Milch kommt, erfährt man von Müller nicht.

Befürchtungen der bayerischen Grünen, der Joghurt werde im Privatbetrieb wieder in Plastikbechern abgefüllt, haben sich allerdings als unberechtigt erwiesen. Die Joghurtbecher bestehen nur zum Teil aus Plastik und ansonsten aus einer Papphülle, die wiederverwertbar ist. Zudem erfährt man aus der Molkerei Weihenstephan, dass immer mehr Biomilch eingekauft wird.

Die Produkte schmecken noch – teilweise sogar besser als früher. So haben sich H-Milch-Verächter mit der blauen Ausgabe der ultrahocherhitzten Milch angefreundet. Die wird nämlich in Weihenstephan mit einem besonders schonenden Dampfverfahren hergestellt, sodass der typische „brandige“ Geschmack nicht entstehen kann. Solche Produkte verdankt die Molkerei seiner Nähe zur Universität.