Wer jandelt so spät durch Nacht und Wind?

Es ist der König Hans, der am Wochenende mit Janine Jaeggi den Comic-Klassiker „Little Nemo“ großformatig in die Wallanlagen tupft. Mit diesem Theater-Spektakel landen die beiden Regisseure wahrscheinlich den absoluten Höhepunkt zum Wall-Jubiläum

„Eine Abwechslung ist immer eine willkommene Abwechslung“, brüllt unser aller Mateng Pollkläsener über‘s Wallgrün. Er ist Morpheus, seines Zeichens König im Traumreich Slumberland. Und er ist gerade genervt, hat sich doch sein Töchterchen hochwohlgeboren ausgerechnet einen Irdischen, einen kleinen Jungen namens „Little Nemo“ zum Spielgefährten auserkoren. Da kann‘s dem Herrn Papa die Suppe schon mal verhageln.

Bei Regisseur Hans König taumelt er zwischen Jandl und Dada, lehnt sich nur kurzzeitig auf und willigt schließlich ein. Und beauftragt einige Schranzen mit der umgehenden Beschaffung des neuen Lieblings der Prinzessin. So beginnt „Little Nemo“, ein großformatiges Spektakulum, das dieses Wochenende zum Höhepunkte des Walljubiläums avancieren dürfte.

Little Nemo hat keinen Namen. Er ist ein Niemand, ein ganz normaler kleiner Junge mit ganz normalen Glücks- und Alpträumen. Zum Nemo, zum Reisenden in diesem bizarren Paralleluniversum – Slumberland – wird er erst, weil wir seiner Geschichte folgen können. Schon die Ausgangssituation – er schläft ein, wird von der reichlich bockigen gegenweltlichen Prinzessin begehrt, ein Einzelkind eben – beinhaltet eine Verkehrung. Nemo gerät in Zwiesprache und Interaktion mit einer Welt, deren Gesetzmäßigkeiten und Gebräuche er nicht kennt – und doch ist alles dort, jedes kleine Detail sein eigenes.

Der amerikanische Zeichner Winsor McCay, vom New York Herald aus der drohenden Versenkung in der Provinz nach New York geholt, hat zwischen 1905 und 1914 hundertfach Nemos Geschichte erzählt. Immer wieder anders. Ein Klassiker der Comicgeschichte, den der Erfinder von Superman ebenso zu seinen Säulenheiligen zählte wie Art Spiegelman es tat.

Anders als die Klassiker anderer Sparten, die sich, wie Hans König meint, mit „realitätsbestimmenden Traumwelten“, mit Psychoanalyse und Sprachspiel ästhetisch auseinandersetzen – etwa wie Carolls „Alice“ oder der Film „Wizard of Oz“ –, wurde McCays Nemo hierzulande kein Kultstatus zuteil. Janine Jaeggi vom Kontorhaus, die mit dem Kulturbahnhofsvorsteher König „Little Nemo“ in die Wallanlagen bringt, hat vor Jahren zum Viertelfest einmal eine Art Peepshow aus diesem faszinierenden Stoff gemacht. Faszination und Idee reiften lange, bis schließlich ein Theaterspektakel mit insgesamt mehr als sechzig Beteiligten draus wurde.

Anders als in McCays sonntäglichen Comicstrips, die nach wiederkehrendem Muster das Thema der Reise zur Prinzessin stets variieren, wurde die spartenspezifische Formelhaftigkeit aufgebrochen. „Ein Plot musste her“, sagt König, „eine Geschichte, in die Motive aus McCays faszinierenden und auch verstörenden Bildwelten eingepasst werden können.“ Zu diesem Zweck hat König zunächst mal das Slumberländische erfunden, eine verdrehte, aber trotzdem verstehbare Sprache.

Nemo durchlebt hier eine Abenteuerreise, trotzt Flip, dem Zigarre rauchenden und missgünstigen Clown, der seinerseits ein Auge auf Morpheus Töchterchen geworfen hat. Ihm gerät so einiges aus den Fugen, er verstrickt sich in seinem, nun ja: Unbewussten und weiß bald nicht mehr, auf welche Seite der Bettdecke er eigentlich gehört. Er lust- und (alp)traumwandelt hin und her, genießt die Welt, wo nichts wissen alles ist, und muss schließlich doch darum kämpfen, zurück zu können in sein eigentliches Leben.

„Es sind nicht allein schöne Träume, wir haben auch das Gegenteil mit in die sieben Bilder genommen. Uns interessierte die Kindern (und auch uns Erwachsenen) eigene Faszinationen an der Angst. Wir stellen Positionen gegenüber der Angst vor.“

„Little Nemo“ kommt allerdings wenig didaktisch, geschweige denn analytisch daher. „Niemand soll sagen: Das sind nur schöne Bilder gewesen. Inszenierung, Geschichte und Sprache werden ausbalanciert.“ Dazu haben Jaeggi und König ein Gespür, die Wallanlagen als Ort des Geschehens auszunutzen. „Hier kann man viel machen. Wir haben den See ebenso miteinbezogen wie den Hügel, wo Morpheus Palast entsteht.“

Und während wir uns darüber freuen können, dass der Aufwand die Details und Wortspiele nicht schluckt, erwähnt Jaeggi, dass mal wieder ein richtig großes Spektakel in und für Bremen produziert werden konnte. „So kann man“, ergänzt König, „die Leute vielleicht auch überzeugen, dass die Stadt hier ein großes Potenzial hat“.

Bleibt nur noch der im Bremischen Sommer obligate Blick gen Himmel. „Das Wetter wird gut sein“, sagt König, „das kannst du ruhig zitieren.“ Und auch wenn er seiner Morpheus-Figur den bedenklich-schönen Reim „Was leg ich mich mit Mächten an, die ich doch nicht zwickern kann“ in den Mund legt, wollen wir ihm gerne glauben. Schaulustigen und FreundInnen der Wortakrobatik wird in spätabendlichen anderthalb Stunden reichlichst kredenzt. Dagegen kommt nichtmal das Bremer Wortspiel des Jahres 2002 an. Es lautet „FestiWall“. Autsch! Also dann: süße Träume.

Tim Schomacker

„Klein Nemo in Slumberland“ wird von Freitagabend bis Sonntagabend in den Wallanlagen hinter der Kunsthalle gespielt. Eine öffentliche Generalprobe findet am heutigen Donnerstag statt. Beginn jeweils um 21.30 Uhr. Karten können unter 0421-1654466 vorbestellt werden und kosten 5/10 Euro.