Der Killer schneidet mit

Das „Bed of Films“ in den Kunst-Werken ist die Lounge unter den Berliner Kinos. Dort zeigen Alexander Böhnke und Rembert Hüser mit „Filmtitel – Titelfilme“, dass die große Kunst des Mediums im Vorspann und im Abspann liegt

Der Kinohimmel befindet sich ganz oben im vierten Stock, im Obergeschoss der Kunst-Werke. Unter der Dachschräge mit den weiß gestrichenen Holzbalken stehen in zwei Reihen zwölf Fernseher; die große Fläche in der Mitte des Raumes nimmt eine riesige Bettkonstruktion ein, die deutlich mehr Komfort verspricht als die knieschindende Enge der üblichen Kinosessel: das „Bed of Film“. Aus der black box des Kinosaals in den white cube des Kunstraums: zwölf Monitore zum Thema „Filmtitel – Titelfilme“.

Die Filmwissenschaftler Alexander Böhnke und Rembert Hüser sehen sich immer nur die ersten fünf Minuten eines Films an. Und die letzten. Das spart nicht nur Zeit, sondern lenkt den Blick auf etwas, was ihre Kollegen normalerweise übersehen: Vorspann und Abspann, die title sequence. Wo sich die Produktionsbedingungen mit der Handlung des Films treffen, entsteht in größtmöglicher Verdichtung „vielleicht sogar ein ganzer Film“, so Böhnke, mindestens aber eine eigene Kunstform.

Was in den Jugendjahren des Kinos aus ökonomischen Gründen begann – das Eigentumsrecht am Film wurde durch eine Tafel mit Titel, Firmennamen und Copyrighthinweis bekräftigt –, hat sich längst zu einer Spielwiese für hoch bezahlte Designer gemausert. Saul Bass, Übervater der virtuosen Vorspanngestaltung, entwickelte für Otto Premingers „The Man with the Golden Arm“ 1955 ein abstraktes Spiel mit Linien und Typografie: vom oberen Bildrand fallen Linien in die schwarze Fläche, rahmen den Filmtitel ein, tanzen auf der Leinwand ein schwarzweißes Ballett, bis sie sich zum Logo des Films, dem ausgreifenden Arm, verdichten. Das kam einer Revolution gleich – nicht nur in den Sehgewohnheiten des Publikums, sondern vor allem in der Werbestrategie Hollywoods, denn der Vorspann lieferte zum ersten Mal zugleich das Plakatmotiv.

Bass brachte seine Arbeit auf eine ebenso einfache wie wirksame Formel: Reduktion und Paradoxierung. Die hat ihm nicht nur bei seinen filmischen Aufträgen geholfen; für Minolta hat der gelernte Werbegrafiker das Firmenlogo entwickelt, für Esso durfte er ganze Tankstellen designen. Ein gelungener Filmvorspann „kettet den Zuschauer an seinen Sitz“, so Bass. Hitchcock schätzte Bass’ Arbeiten so sehr, dass er ihm nicht nur die Einleitung zahlreicher seiner Filme überließ – etwa die Spiralen von „Vertigo“ –, sondern gleich auch noch die visuelle Gestaltung für den berühmtesten aller Hitchcock-Schocker: die Duschmordsequenz in „Psycho“.

In den Achtzigern fiel die Kunst des anspruchsvollen Filmeinstiegs dann in einen Dornröschenschlaf; unsanft geweckt wurde sie erst dank Kyle Coopers fulminanter Einstiegssequenz für David Finchers Polizeithriller „Seven“, die zum Industrial-Soundtrack die Hände eines Psychopathen in Aktion zeigt. Cooper hat den Vorspann so gestaltet, als hätte der Mörder ihn selbst gebastelt; sein Darsteller, Kevin Spacey, taucht in den Credits nicht auf. So wird der Psychokiller zum eigentlichen „Autor“ des Films. Böhnke und Hüser legen jedoch Wert darauf, mit ihrer Installation „keine Heroengeschichte“ betreiben zu wollen, und betonen, dass es neben Bass und Cooper eine ganze Menge weiterer talentierter title sequence designer gibt. Die Vor- und Abspänne von 1.200 Filmen haben Hüser und Böhnke gesichtet, eine Auswahl von 85 wird in den Kunst-Werken gezeigt.

Die Ausstellung zeigt auch, dass schon ganz einfache Ideen genügen. So setzt etwa der Abspann von „Männer“ nicht Titel, sondern Crew in Bewegung, die im Paternoster vorbeifährt. Manchmal schlägt der Vorspann eines Films unerwartete Brücken: der Auftritt von Pam Grier in „Jackie Brown“ etwa zitiert den Dustin Hoffmans in „Die Reifeprüfung“. An ihre letztendlich ökonomische Funktion macht die letzte Sequenz von Jean-Luc Godards „Tout va bien“ überdeutlich aufmerksam, wenn die Namen der Mitwirkenden auf den Schecks erscheinen, die sie für ihre Arbeit erhalten. Viel Bekanntes und viel Neues kann man entdecken in dieser fünften und voraussichtlich letzten Installation des „Bed of Film“. Und eines kann man lernen: Wer der Leinwand zu früh den Rücken kehrt, bringt sich womöglich um die Schlusspointe.

DIETMAR KAMMERER

Bed of Films, bis 17. 8., Di.–So. 12–18 Uhr, Kunst-Werke, Auguststraße 69