Die nasse Claudia

Rekordregen in Hamburg und Umgebung: 110 Liter pro Quadratmeter unterspülen Bahngleise und setzen Straßen unter Wasser. Sandskulpturen-Festival in Travemünde fast weggespült

„Es ist billiger, jetzt alternative Energien zu fördern, als im Jahr 2050 pausenlos Gewitterschäden zu beseitigen.“

lno/ots/taz Unzählige voll gelaufene Keller, überflutete Straßen, gesperrte Bahnlinien – heftige Regenfälle haben gestern im Norden erhebliche Schäden und Verkehrsbehinderungen verursacht. In Hamburg und Schleswig-Holstein waren Einsatzkräfte im Dauereinsatz. Straßen und Bahnstrecken besonders in den östlichen Landesteilen mussten wegen Überflutungen zeitweise gesperrt werden.

Schwerpunkt des Dauerregens war neben Lübeck, wo die Trave über die Ufer trat und Teile der Altstadt unter Wasser setzte, vor allem Quickborn im Kreis Pinneberg. In Lübeck fielen nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes gestern rund 100 Liter Regen je Quadratmeter, in Quickborn sogar 110 Liter, in Hamburg wurden „nur“ 80 Liter gemessen. „Das sind neue Rekordwerte“, erklärte Hans-Joachim Heinemann vom Wetterdienst. Erst am Nachmittag zog das Tief Claudia langsam ab.

Allein in der Hansestadt rückte die Feuerwehr bis zum Mittag 300 Mal aus, um voll gelaufene Keller und überflutete Straßenleer zu pumpen. In Poppenbüttel lief der Mühlenteich über, die U-Bahn-Station Meiendorfer Weg stand stundenlang unter Wasser.

Das Hamburger Schienennetz war zeitweise wegen umgestürzter Bäume und Überflutung gesperrt. Eine Gleisunterspülung bei Bad Schwartau setzte den gesamten Zugverkehr nördlich von Lübeck außer Betrieb.

Die Zunahme der extrem starken Unwetter ist nach Aussagen des Hamburger Klimaforschers Mojib Latif eindeutig auf den Treibhauseffekt zurückzuführen. Dem sei nur mit dem Einsatz alternativer Energien zu begegnen. „Weltweit gibt es eine Häufung extremer Wetterlagen“, sagte der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in einem dpa-Gespräch. Gerade auch in Deutschland sei die Anzahl der heftigen Niederschläge gestiegen. „Was wir vorige Woche in Berlin und Brandenburg gesehen haben, ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.“

Weit schlimmer werden die einzelnen Unwetter laut Latif, wenn es an Gewittertagen noch wärmer wird und in einem solchen Gebiet dann eine Kaltfront kommt. In den vergangenen 100 Jahren habe sich die Durchschnittstemperatur in Deutschland um ein Grad erwärmt. „Wir rechnen mit zusätzlichen zwei bis drei Grad in den kommenden 100 Jahren.“

Stärkere Niederschläge und längere Zeiten der Trockenheit seien ein unübersehbares Signal: „Spätere Generationen werden sagen, um die Jahrtausendwende waren erste Anzeichen für den Klimawandel zu sehen“, sieht Latif voraus. „Computermodelle haben schon seit langer Zeit vorhergesagt, dass sich die Verteilung der Niederschläge mit steigender globaler Temperatur ändert.“ Denn eine wärmere Atmosphäre führt zu einem stärkeren Wasserzyklus. „Wärmere Luftmassen nehmen mehr Wasserdampf auf. Daher steht mehr Wasser für Niederschläge zur Verfügung.“ Andere Gebiete werden den Voraussagen zufolge langfristig trockener. „Der Mittelmeerraum wird stärker unter den Einfluss des Azorenhochs kommen.“

Einziges Gegenmittel sei der weltweite Umstieg auf alternative Energien: „Langfristig kann man das Problem nur lösen, wenn man komplett wegkommt von den fossilen Brennstoffen“, sagte Latif. „Es ist billiger, jetzt alternative Energien zu fördern, als im Jahr 2050 pausenlos Gewitterschäden zu beseitigen.“

Nach den Regenfällen steht den Figuren beim Sandskulpturenfestival in Travemünde das Wasser bis zum Hals. „Praktisch alle Kirchtürme sind beschädigt“, seufzte der Sprecher des Festivals, Benno Lindel. Rund die Hälfte der bis zu elf Meter hohen Sandskulpturen wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Figuren könnten in niedrigerer Form wieder errichtet werden, aber ein Wiederaufbau der Kirchtürme sei aus technischen Gründen nicht mehr möglich, seufzte der künstlerische Leiter des Festivals, Eppo Vogel.

Jetzt soll ein Team von Sandskulpteuren aus Holland anreisen, um die Schäden zu beseitigen. „Die Besucher werden den Skulpteuren rund eine Woche lang bei der Arbeit zuschauen können“, sagte Lübecks Tourismusdirektor Johann W. Wagner.

Aus Sicherheitsgründen wurde das Festivalgelände auf der Halbinsel Priwall vor dem Ostseebad vorübergehend geschlossen, soll aber am Wochenende wieder geöffnet werden. Heute soll sich eine „Sand-Task-Force“ an die Arbeit machen, „um zu retten, was zu retten ist“.

Die „Sand World 2002“, das erste deutsche Sandskulpturenfestival, war am 12. Juli eröffnet worden und hatte am ersten Wochenende bereits 25.000 Besucher angezogen. Das Festival soll bis zum 25. August dauern. Sofern Claudias Geschwister mitspielen.

Der Wetterdienst gab inzwischen leichte Entwarnung. Nach abklingenden Regenfällen in der Nacht zum Freitag soll es im Verlauf des Tages auflockern. Ein paar Stunden lang soll sich sogar die Sonne zeigen.

SVEN-MICHAEL VEIT