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: Gemeinsam WM gucken, getrennt raven?

Access Hauptstadt

Das Sommerloch breitete sich dieses Jahr schon Anfang Juli aus. Im emotionalen Loch nach dem WM-Finale spürten wir die Sinnlosigkeit unseres Daseins noch deutlicher. Mancherorts wurde angedacht, die mittäglichen Treffen vor dem Fernseher fortzusetzen, etwa um das judikative Tun der Richterin Barbara Salesch auf Sat.1 gemeinschaftlich zu verfolgen – allein es blieb beim Vorsatz. Vielleicht können extrem frankophile Naturen der langweiligsten Sportart der Welt noch etwas abgewinnen und sich zum Tour-de-France-Schauen treffen. Aber dafür muss man schon sehr verzweifelt sein.

Auch im echten Leben hat sich nicht viel getan: Die Demonstrationen vor dem Prinzenbad, das Unwetter, die Universals, die endlich in ihren Eierkarton gezogen sind. Mehrere, eigentlich psychisch stabile Menschen, die bei der Einweihungsparty waren, berichteten über dort durchlittene schwere Nervenzusammenbrüche. Fragt man nach der Ursache, schütteln sie den Kopf: „Ja, Rod von den Ärzten war da und Shaham von Bro'Sis hab ich gesehen“, stammeln sie fast lautlos und apathisch, „man bekam einen Universal-Pass und musste sich so Stempel holen, und eigentlich war es gar nicht so schlimm.“ Und dann schweigen sie und richten ihren starren, verrückten Blick ins Leere. Einiges Unheil wird da wohl noch auf Kreuzberg über die Oberbaumbrücke zukommen.

Saß man in der letzten Woche vorm „san remo upflamör“ in der Falckensteinstraße, konnte man beunruhigend viele Menschen aus dem Osten über eben jene Brücke herannahen sehen. Vielleicht handelte es sich dabei aber gar nicht um die Invasion amüsierwilliger A & R- und Product-Manager, vielleicht hatte nur ein neues Youth Hostel in Friedrichshain eröffnet, vielleicht suchten nur umherstreunende Rave-Touristen nach dem Access Hauptstadt.

Die größte Gemeinheit ist überhaupt, dass jetzt die Love Parade von den Medien so madig gemacht wird. Nur 500.000 seien gekommen, die Parade sei tot, Hipnessfaktor kleiner gleich null, hämen die TV-Nachrichtenmagazine. Auch die Printmedien schlagen in die gleiche Kerbe. Will man die Parade denn totschreiben, uns endgültig das Rückgrat brechen, uns das letzte bisschen Lebensfreude nehmen?

Der teilnehmende Beobachter konnte sich an den tollen Tagen im Juli, am Love Weekend, auch abseits des karnevalesken Treibens stets an vielem freuen. Süß, die hilflosen Raverkinder, die nicht wissen, wie man sich in der U-Bahn festhält! Voll abgefahren, die jungen Leuten, die ihre Autos mit geheimnisvollen Nummern (OHL, LDS, SDL) gemeinschaftlich parken, bei offener Tür denselben Radiosender hören und so private Autoraves veranstalten. Krass, wie die angeberisch-hypergeschäftigen DJs in Taxis hechten und mit Chrom-Plattenkoffern von Club zu Club hetzen!

Wie viel Freude hatte da der Beobachter an der eigenen kulturellen Überlegenheit und an den Modetrends, die von den Technogästen in die Stadt getragen wurden! Vom Schutzkleidungs- und Müllsackgebot der frühen Jahre zur Flokatiphase, von der Dachrinnenfrisur des männlichen Ravers, über die Erfindung des plüschenen Schlaghosenüberziehers zum abnehmbaren Kunstpony. Das muss immer so weitergehen, das darf niemals zu Ende gehen.

CHRISTIANE RÖSINGER