zwischen den rillen
: Rock im Ring: Readymade vs. Robert Plant

Der Lucky Punch

Ladies and Gentlemen, herzlich willkommen zum Boxkampf um die Schwergewichtsmeisterschaft im Rock. In der roten Ecke der Herausforderer aus Wiesbaden, Germany: Readymade. In der blauen Ecke der Titelverteidiger, eine lebende Legende, von der Hall of Fame direkt in den Ring: der einzigartige Robert Plant. Rühren Sie die Hände und begrüßen Sie beide mit einem herzlichen Applaus!

Aktueller Formnachweis: Der Herausforderer bringt „The Feeling Modified“ mit in den Ring. Kein Alternative Rock, kein Emocore, kein Grunge, kein Crossover, einfach nur: Rock. Dem hat der Titelverteidiger verträumte Erinnerungen an den einstigen Zenit entgegenzusetzen: „Dreamland“.

Erfahrung: Der Champion schöpft aus einem schier endlosen Fundus. Ihm selbst fällt aber nicht immer was Neues ein. Das Ergebnis: reichlich Coverversionen, unter anderem von Bob Dylan, Tim Buckley, Moby Grape und den Youngbloods. Sein Kampfstil, abgehangene Lässigkeit im Bluesschema, ist bekannt, aber der Weltmeister legt Wert darauf, neueste Trainingsmethoden zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Von den Electric Prunes oder Flaming Lips und ihren elektronischen Experimenten, die Plant als Einfluss angibt, ist auf „Dreamland“ allerdings nichts zu hören.

Die Erfahrungen von Readymade beschränken sich dagegen darauf, wegen ihrer englischen Texte keine typisch deutsche Sparte besetzen zu können, dann aber stets hinter der nächsten Durchschnittskapelle aus England oder USA zurückstehen zu müssen. Als Folge boxt man nicht defensiv, sondern pflegt mit dem Mut der Verzweiflung einen internationalen, attraktiven Offensivstil. Die Fäuste hängen lässig herab, die Deckung wird mitunter vernachlässigt, aber wer Großes leisten will, darf sich nicht um Kleinigkeiten sorgen.

Melodien und Sound: Hier glänzen die Außenseiter mit dreister Hemmungslosigkeit. Es gibt Gefühle, und es gibt Töne. Und wenn beides zur Deckung gebracht wird, hat man es allzu oft mit Kitsch zu tun. Nun schwelgen auch auf „The Feeling Modified“ die Streicher, und Zachary Johnson singt mit großer Geste von sich. Von sich und ihr. Und noch mal von sich: Hier hat jemand Mächtiges vor und scheißt auf alle Bedenken. Im Gegensatz dazu kann man Plant anhören, dass solch ungebrochener Zugang nach Jahrzehnten im Geschäft nur mehr schwer möglich ist. Wie tastend sucht seine Stimme nach einem Ausdruck, den die Geschichte noch nicht verboten hat. Manchmal findet er ihn, meistens nicht. Aber: Die Suche ist ehrenhaft und durchaus interessant. Auch dass sich Plant jahrelang mit indischer und sonstwie exotischer Musik beschäftigt hat, ist nicht zu überhören. Schön für ihn.

Rockposen: „You Call It Trash We Call It Rock ’n’ Roll“, heißt es beim Herausforderer. Einfach so tun, als sei Rock nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen, als wäre Mick Jagger nicht zum Ritter geschlagen. So können Readymade noch einmal richtig zuschlagen: Mit breitesten Gitarren werden die mittleren Achtzigerjahre noch einmal besucht, wird der Gestus der Rebellion beschworen, kräftig Bier getrunken und bis in die Nacht übers Leben diskutiert: „I don’t want to be like they want me to be.“ Beim Titelverteidiger dagegen ist der Schweinerockfaktor nur mehr minimal ausgeprägt. Kaum ein Song hat einen klaren Aufbau oder einen stumpfen Viervierteltakt. Stattdessen spielt die von Plant aus Portishead-, Massive-Attack- und Roni-Size-Musikern neu zusammengestellte Band so verschwurbelt, dass selbst noch das ausgelutschteste Riff und das breitbeinigste Gitarrensolo irgendwie seltsam klingen. „Ich bin Kabarett“, weiß Plant und boxt selbst aus dem längst zu Tode gecoverten „Hey Joe“ noch einen irgendwie anderen Ansatz heraus. Danach erkennt man den Song nicht wieder, so zugeschwollen ist er.

Robert-Plant-Faktor: beim Herausforderer nicht vorhanden, bei Plant selbst überraschend klein. Vorsichtiges Knödeln bei „Song For The Siren“, immer wieder schüchterne Ansätze der Stimmbänder, sich zu alter Glorie aufzuschwingen, die aber stets in einem sehr sympathischen Stadium der Andeutung verharren. Der finale, halbminütige Heavy-Metal-Schrei aber, als dessen Perfektionist Plant seit Led Zeppelin gilt, bleibt schlussendlich aus.

Vor dem Kampf: Wer mehr Gewicht auf die Waage brachte, war schnell klar. Während Readymade immerhin eine Titelgeschichte im Randgruppenmagazin Spex verzeichnen konnten, war sich Plant nur gut genug für die medialen Schwergewichte: TV-Auftritte von Letterman bis Harald Schmidt erreichten eine ungleich größere Zielgruppe.

Kampfverlauf: Der Titelverteidiger seziert genüsslich mit wohl kalkulierten Tempowechseln und einer überraschenden Stilvielfalt seinen Herausforderer, der außer roher Kraft nicht viel zu bieten hat. Dank der geringeren Erfahrung scheinen Readymade chancenlos und rennen sich immer wieder verzweifelt in der Deckung des Champions fest. Doch in der neunten Runde schließlich gelingt der Lucky Punch: „It Doesn’t Make Sense“ – einer Hymne, die sich schon jetzt geriert wie ein Klassiker – hat Plant nur die bereits erwähnte, gewollt originelle Version von „Hey Joe“ entgegenzusetzen. Da wird der Altmeister vom jugendlichen Ungestüm auf die Bretter geschickt und prompt ausgezählt. THOMAS WINKLER

Robert Plant: „Dreamland“ (Mercury/Universal); Readymade: „The Feeling Modified“ (Motor/Universal)