Cheops an der Berner Au

Der Hamburger Elektroingenieur Bernd Motl hat seine eigene Vorstellung vom Bau der Pyramiden. Und erprobt sie im Vorgarten mit Bretterrinne und Umlenkstein, bis Sohn und Nachbarn murren

von HEINZ-GÜNTER HOLLEIN

Nach 75 Metern muss für Bernd Motl erstmal Schluss sein. Der Nachbar hat den Kopf über den Zaun gereckt und nachdrücklich darum gebeten, am Wochenende seine Ruhe zu haben. Motl versteht das, samstags um 14 Uhr ist in der Reihenhaussiedlung an der Berner Au nun mal tatsächlich „Ruhezeit“. Und es ist auch nicht ganz einfach, zu erklären, dass es sich bei der 75 Meter langen Bretterrinne, die er seit vier Stunden auf dem Plattenweg hinter seinem Haus zusammenschraubt, nicht um den Versuch handelt, die „längste Murmelbahn der Welt“ zu bauen, wie ein Spaziergängerin vermutet. Sondern um die praktische Erprobung einer Idee, wie die Baumeister der Pharaonen eine Referenzlinie für die Nivellierung ihrer Pyramidenfundamente gewonnen haben könnten.

Bernd Motl ist weder Hobby-Ägyptologe noch esoterischer Zahlenmystiker, sondern gestandene 50, gelernter Elektroingenieur und Hausverwalter einer Wohnungsgesellschaft. Mithin ein handwerklicher Praktiker. Als solcher hat er vor anderthalb Jahren binnen zwei Nächten zwei Ideen gehabt. Auslöser war eine ZDF-Sendung über die Theorien zum Pyramidenbau, die Motl allesamt nicht überzeugen konnten. Damit befindet er sich in durchaus qualifizierter Gesellschaft, zum Beispiel des Wissenschaftsjournalisten Michael Haase: „Die Bauszenarien zu den einzelnen Pyramiden sind bislang nicht schlüssig rekonstruierbar.“ Immerhin wurden neben der Neferefes-Pyramide in Abusir Reste einer trogartigen Ziegelrinne gefunden, die vermutlich mit Wasser gefüllt wurde, dessen Spiegel dann als Horizontallinie für die Fundamentebene diente.

Nicht anders funktioniert Motls Bretterrinne, deren Material – für den anstehenden Dachausbau des Eigenheimes – kostenneutral bereit lag. Vermittels der Maßeinheiten an einem Senklot kann Motl vom Wasserspiegel seiner Rinne aus für jeden beliebigen Punkt in Reichweite die relativ gleiche Höhe festlegen.

Ein ähnliches Messinstrument im Grab des Baumeisters Senedjem aus der 19. Dynastie um 1270 v. Chr. deutet darauf hin, dass Motl mit dem Produkt seines scheinbar unwissenschaftlichen Geistesblitzes so falsch nicht liegt. Stimmt doch die Fachpublizistik zumindest darin überein, dass vieles vor Ort der jeweiligen Bauproblematik angepasst wurde. Abgesehen davon, dass Meister Senedjem sich in seinem Lendenschurz an der Berner Au vermutlich ein wenig underdressed gefühlt hätte, wäre er mit Meister Motl über den Ansatz zur Problemlösung sicher schnell einig geworden.

Vielleicht auch über dessen zweite Idee. Hinter der Verbringung Zigtausender von Quadern vom Fuß einer Pyramide bis hinauf zum Gipfel steht bislang immer noch ein Fragezeichen. Wie die Lösungen ausgesehen haben könnten, zeigt derzeit eine Austellung im Museum für Kunst und Gewerbe. Motl will da demnächst auch mal hin. Was er da sehen wird – Winkelhebel und Rampen – dürfte ihn aber nur zum Teil überzeugen. Auch in diesem Punkt liegt er auf einer Linie mit der Forschung, die sich nach 200 Jahren darauf verständigt hat, so der Ägyptologe Miroslav Verner, dass es wohl „keine universelle Methode“ beim Pyramidenbau gab.

Das Modell zur Demonstration der „Methode Motl“ steht in der Garage und ist schnell vorgeführt: Ein Schlitten auf einer Holzrampe, der durch das Gewicht eines Pendants auf einer gegenüberliegenden Rampe in die Höhe gezogen wird. Transportschlitten für Kolossalstatuen sind aus altägyptischen Darstellungen bekannt, und auch ein Umlenkstein für eine denkbare Seilführung über die Stufenkanten wurde gefunden. In Berne ersetzen Bastelton und Leitungswasser den Nilschlamm als Gleitfläche, und schon bewegt sich der 2,5 Kilo-Baustein die Modellrampe hinauf.

Wie das Ganze mit dem tausendfachen Gewicht aussähe, muss verständlicherweise unerprobt bleiben, ebenso wie Motls Vorstellung einer „Beladung“ des Zugschlittens mit 50 Arbeitern von durchschnittlich 60 Kilo Lebendgewicht. Mit etwa 3 Stundenkilometern wäre nach Motls Berechnungen der Schlitten die Pyramidenflanke hinauf gewandert. Für den Fall der Fälle hat er eine Sandaufschüttung als Auslauf- und Bremszone am Fuß der Pyramide eingeplant.

Das Bild einer pyramidalen Rutsche mag abenteuerlich erscheinen, aber siehe da: die Idee einer Zug- und Umlenkvorrichtung über den Pyramidenstumpf findet sich auch bei dem französischen Architekten Guerriere. Dessen Theorie wird zwar von der Forschung skeptisch beurteilt, aber, noch einmal Miroslav Verner, für „eine genaue Rekonstruktion“ der Baumethoden müsste man die Pyramiden schon „auseinandernehmen und wieder zusammensetzen“.

Bis dahin stehen Bernd Motls Theorien jedenfalls im Internet unter www.Pyramiden-bau.de zur Diskussion. Seine Wasserwaagenrinne hätte er aber doch noch gern über die ganze Seitenlänge der Cheopspyramide (230,38 Meter) verlegt. Allein, sein Bautrupp – Sohn Matthias samt Freunden – bekundet auf Anfrage, man habe „ehrlich gesagt, nicht wirklich Lust“ weiterzumachen.

Da arbeitete ein Baumeister des Pharaoh denn doch unter anderen Bedingungen.