berliner szenen Sommer in der S-Bahn

Der Duft der Männer

In Berlin ist der Anteil echter Männer am höchsten. Zumindest wenn es nach Hemingway geht. Der Macho und Großwildjäger soll Deodorants rigoros abgelehnt haben: „Ein Mann hat verdammt noch mal nach nichts zu riechen als nach sich selbst.“

Hemingway ist über vierzig Jahre tot, Elefanten und Löwen werden kaum mehr von trophäensüchtigen Weißen geschossen. Aber die richtigen Männer gibt es noch. Wer daran zweifelt, besteige im Sommer die S-Bahn. Im brütend heißen und stickigen Abteil – wer geht schon in die Sauna, wenn die BVG diesen Service im Fahrpreis inbegriffen hat – trifft man auf einen Duftcocktail der besonderen Art. Da isst jemand seinen Döner zu Ende, Fleischgeruch hängt in der Luft. Ein großer Hund hechelt, weniger wegen des Geruchs als wegen der Hitze. Der Hund selbst füllt das halbe Abteil mit seinem Odeur. Dann schält er sich heraus: der Geruch echter Männer. Selbst der Herr im Anzug und der coole Sechzehnjährige im T-Shirt dunsten ihn aus. Berlin ist tolerant, rücksichtslos tolerant; so viel Toleranz, wie man gewährt, wird auch eingefordert …

Ein junger Typ im Laufdress kommt beim nächsten Halt herangehechtet. Wahrscheinlich hat er in der Mittagshitze seine zehn Kilometer absolviert. Sein Sporthemd klebt am Rücken, unter den Achseln breiten sich große dunkle Flecken aus. Er hält sich, den Arm nach oben gereckt, an der Metallstange fest. Ich stehe direkt neben ihm. Seine Achselhöhle ist eine Handbreit von meinem Gesicht entfernt. Das Abteil ist brechend voll, kein Ausweichen möglich, ich kann nur den Kopf etwas wegdrehen. Trotzdem trifft mich die olfaktorische Frontalattacke; es kitzelt unangenehm in der Nase. Ob Hemingway auch so herb gerochen hat? STEFAN KARL HUG