Der große Verwertungsschwindel

Jugendkulturen in der Zeitschleife (4): Punk geht nie tot. Während in Mitte Hipster die No-Future-Ästhetik wiederentdecken, tanzen die Originale Pogo zu TV Smith oder machen von Polen und der deutschen Provinz aus rüber nach Friedrichshain

von STEPHANIE GRIMM

Vor dem Glaspavillon an der Volksbühne steht junges, hippes Volk. Es trinkt Retro-Spezi und Tannenzäpfle Bier. Drinnen läuft die Aufzeichnung einer Radiosendung des Bayrischen Rundfunks von 1978. Das Thema ist Punk und ein ziemlich junger Thomas Gottschalk moderiert die Sendung. Um den damals heißen Scheiß aus England geht es auch bei den ins Fenster gehängten Zeitungsartikeln aus Bravo, Musikexpress und Spiegel, denen die Verwirrung darüber, was Punk denn nun genau ist und war, deutlich anzumerken ist. Das sorgt bei den umstehenden Menschen, die 1978 zum Teil noch gar nicht auf der Welt waren, für Belustigung.

Nicht nur Veranstaltungen wie diese machen klar, dass die Ästhetik von Punk gerade ihren siebenundzwanzigsten Ritt durch die Verwertungsmechanismen der Kulturindustrie antritt. Man denke an die fleißige Aufarbeitung der Punkgeschichte im Feuilleton und in zahlreichen Büchern. So wurde Jon Savages Punkhistorie „England’s Dreaming“ endlich ins Deutsche übersetzt und bei der Lesetour mit einer schicken Multimediashow in Szene gesetzt. Jürgen Teipel reist mit „Verschwende deine Jugend“, seinem Doku-Roman über Punk und die Achtziger, durchs Land. Und in Fernsehtalkshows erzählen Kulturschaffende zwischen 35 und 45, wie viel kreative Energie sie ihren Zeiten als Punk verdanken.

Dabei scheint die Wiederentdeckung von Punk in Berlin sogar noch folgerichtiger als anderswo zu sein, seit die Stadt erkannt hat, dass sie zu glatt zu werden droht und nach ganz speziellen, exotischen Images suchen muss. Man denke an die stilisierten Iros, die Ku’damm-Friseure für teures Geld schneiden, an die stümperhaft bedruckten T-Shirts in den Boutiquen in Mitte oder an geschickt promotete Sängerinnen wie Mia, die auf Annette Humpe machen.

Wenn man sich auf der Straße nach dieser wiederentdeckten Subkultur umsieht, kommen Zweifel. Gibt es überhaupt noch richtige Punks, außer den bunthaarigen Hundebesitzern, die an U-Bahnhöfen Bier trinken und schnorren? Wenn ja, was verbindet sie miteinander? Was ist aus den besetzten Häusern, lobenswerten Einrichtungen wie Volxküchen und aus all den anderen Lebensformen jenseits von Konsum und Kommerz geworden?

In der KvU im Prenzlauer Berg sieht es erst mal nicht danach aus, als ob dieser originale Punk mit dem gegenwärtigen ästhetischen Recycling etwas zu tun hätte. Hier steht an diesem Abend TV Smith auf der Bühne. Der Eintritt ist billig, der unverputzte Keller gerappelt voll und das Publikum stylingtechnisch in der ganzen Bandbreite vertreten – von unauffällig abgerockt bis zu stolzen Iros. TV Smith war Sänger der Adverts, die vor knapp 25 Jahren mit „Gary Gilmore’s Eyes“ mal einen richtigen Hit hatten. Daran liegt es wohl nicht, dass TV Smith an diesem Abend gefeiert wird wie ein Held – die meisten Anwesenden sind unter 35. Es ist einfach gute Laune im Raum und der Wille, sich zu amüsieren. Dass plötzlich alle wie wild rumpogen, wirkt ein bisschen programmatisch – und passt doch zu den Themen, um die es geht, so wie der Eddingspruch an der Wand: „I hate to see a poor person smile“. Oder die Aufkleber am Eingang, die wegen der Kubablockade zum Bacardi-Boykott aufrufen.

Gegen den Konsens

Den großen Durchbruch hatte Punk vor gut 25 Jahren in England. Vorläufer gab es schon einige Jahre zuvor in den USA. In der New Yorker Lower East Side waren es Bands wie Ramones und New York Dolls, die eine neue, rauhe, entschlackte Form von Rock ’n’ Roll spielten und sich selbst Punks (ein Slangwort für Wertlosigkeit, Homosexualität, Schwäche) nannten. Der spätere musikalische und kulturelle Erdrutsch, den Punk in Großbritannien auslöste, war begleitet von einem riesigen Medienspektakel und brachte unzählige Bands hervor, allen voran Clash, Sex Pistols oder Damned. Gesamtgesellschaftlich brachen in den späten Siebzigerjahren ungemütliche Zeiten an, und dafür war Punk die perfekte Metapher: Der Nachkriegskonsens, dass auch eine kapitalistische Gesellschaft ein freundliches Antlitz haben kann, begann zu bröckeln. Die miefigen Elemente der Hippiekultur hatten sich im Mainstream eingenistet, und der reagierte auf Punk ausgesprochen angepikst. So titelte der Spiegel im Januar 1978: „Punk – Kultur aus den Slums: brutal und hässlich“. Dabei gab es regional recht unterschiedliche Inhalte, die mit der Idee von Punk verbunden wurden: In England brach die Phase der politischen Agitation gegen den wachsenden Rassismus und Margaret Thatcher an, in Deutschland kam die Zeit der Hausbesetzungen.

Im Kreuzberger „Wild At Heart“ spielt die US-Punkband Zeke, aber nur ungefähr jeder Zwanzigste der vielen enthusiastischen Besucher sieht so aus, wie man sich einen Punk vorstellt. Denn Traditionspflege und einen konsistenten Stil hat es im Punk nie gegeben – zumindest keinen, der mit dem anderer Jugendszenen, etwa Ska-Fans oder Rockabillys, konkurrieren könnte, die stilsicher und unerschütterlich in ihrer Zeitblase leben. Das hat viel mit dem Selbstbild dieser Subkultur zu tun, dem Unwillen, Erwartungen zu erfüllen, und mit dem Spaß am Spiel mit uneindeutigen Zeichen.

Dennoch gab es immer gemeinsame Inhalte: Dass man Dinge selber macht, dass man lieber improvisiert – selbst wenn das Resultat dilettantisch ist. Dass man sich nimmt, worauf man Lust hat, statt langatmige Debatten zu führen. Es ging um das Recht, Spaß zu haben, ohne dabei die etablierte gesellschaftliche Logik zu beachten. Das alles sind Attitudes, die übrigens auch in der DDR Punk zu einer wichtigen Oppositionsbewegung werden ließen. Punk im Osten ging zwar erst in den Achtzigerjahren richtig los, dann aber heftig.

Punk goes East

Der Grund, dass die Punkszene heute mehr im Ost- als im Westteil der Stadt lebt, hat mit Zuschreibungen aus der Vergangenheit wenig zu tun. Dass man Punkkneipen eher im Friedrichshain als in Kreuzberg oder Schöneberg findet, hängt vor allem mit geeigneten Räumen zusammen – auch dank der Hausbesetzungen im Osten nach Mauerfall. Hier trifft sich weiter die Punkszene – in der Köpi, im Niemandsland zwischen Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte; im nördlichen Friedrichshain, im Fischladen, in der Kaderschmiede und eben in der KvU, den Räumen der Kirche von Unten.

Die Rigaer Straße fühlt sich ziemlich verschlafen an, und so sieht auch der einsame Hundebesitzer aus, der vor dem Fischladen herumsitzt. Drinnen diskutieren zwei Jungs und ein Mädchen über die Ereignisse vom Ersten Mai, dazu läuft im Hintergrund Hasskappen-Deutschpunk. Die Apfelsaftschorle kostet 50 Cent, die Atmosphäre ist entspannt, viel Eifer steckt nicht in der Diskussion und so ist das Thema bald durch. Ein Junge versucht, die anderen zum Billardspielen zu überreden. Er heißt P. und hat einen osteuropäischen Akzent, der daran erinnert, dass die Punks, die im Sommer an Ampelkreuzungen Autoscheiben putzen, oft Polen sind. Im Infoladen um die Ecke gibt es sogar ein eigenes Regal für „Ziny Anarcho-Punkowe“, voll gestopft mit zerlesenen polnischen Fanzines.

P. lebt in Berlin, weil hier alles ein bisschen besser ist als zu Hause. Zu Hause ist für ihn irgendwo in der polnischen Pampa. In der Szene hat er prima Kumpels gefunden und Musik, die ihm gefällt. Doch außer, dass es ein gutes Leben ist, hat er über die Ideen von Punk nicht viel zu erzählen. Das gute Leben als Punk in Berlin hat viel damit zu tun, dass es hier noch immer Freiräume, Nischen und Wohnmöglichkeiten gibt, die ein billigeres Leben ermöglichen, als es in anderen Großstädten möglich wäre. Davon profitieren verschiedene Subkulturen in dieser Stadt, Punks mit ihrer Abneigung gegen eine sich zunehmend ästhetisierende und sich am Konsum orientierende Gesellschaft aber besonders. Nachwuchsprobleme scheint die Berliner Punkszene jedenfalls nicht zu haben. Dieser Nachwuchs kommt nicht aus der Riege der Mitte-Hipster, sondern aus der polnischen, spanischen und deutschen Provinz. Da sie kaum konsumieren – egal ob mit oder ohne Anliegen –, taugen sie nicht für den Stoff, aus dem die kulturindustriellen Verwertungen von Punk heute sind.