Mit dem Internet über die Knastmauern

Die JVA Tegel geht neue Wege beim Fernstudium für Gefangene. Partner ist die Fern-Uni in Hagen. Doch auf eigene Computer können die Studierenden nicht hoffen, und zur mündlichen Prüfung müssen die Profs in den Knast

Sechs Wochen vergingen schon mal, bis Häftling Peter B. seine korrigierten Übungsaufgaben im Gefängnis wieder zurückbekam. Er und fünf Mithäftlinge in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel sind an der Fern-Universität Hagen für ein Vollzeitstudium eingeschrieben, zehn weitere Häftlinge haben Gasthörerstatus. Fehler konnte der 41-jährige Informatikstudent bislang erst spät erkennen, so dass der Lernerfolg immer wieder ins Stocken geriet.

Jetzt hofft Peter B. auf eine wesentliche Erleichterung durch den Internetzugang. Erstmals dürfen Strafgefangene das World Wide Web beim Studium eingeschränkt nutzen. Die Fern-Uni Hagen hat eine europaweit einmalige Zusammenarbeit mit der JVA Tegel begonnen.

Ein Fernstudium bedeutet vor allem lesen, lesen, lesen. Alle zwei Wochen erhält Peter B. seinen Lernstoff auf dem Postweg. Aber während die meisten seiner Kommilitonen seit einigen Jahren für Rückfragen an Tutoren oder Mitstudierende das Internet nutzen, blieb ihm bisher die schnelle Kommunikation per E-Mail oder Newsgroup verwehrt. Auch war es schwer, persönliche Studienkontakte zu knüpfen. Die Teilnahme an Präsenzseminaren in Hagen oder Veranstaltungen am Studienzentrum der Freien Universität Berlin sind dem Häftling nicht möglich.

Für Inhaftierte mit Hochschulreife ist die Fern-Uni Hagen hier zu Lande die einzige Möglichkeit, während ihrer Haftzeit ein wissenschaftliches Hochschulstudium zu absolvieren. Bei der Uni, die Gefangenen seit ihrer Gründung 1974 ein Fernstudium anbietet, sind zwischen 600 und 1.000 inhaftierte Studierende eingeschrieben. Genauere Zahlen gibt es nicht, weil dieser Umstand für das Studium irrelevant ist und nicht erfasst wird. „Wer hier studiert, braucht viel Motivation“, sagt Renate Angelika Schulz, die am Studienzentrum der Freien Universität die Berliner Fernstudierenden betreut. Rund die Hälfte bricht das Studium im ersten Jahr ab. Im Tegeler Gefängnis hat bisher noch keiner einen Studienabschluss geschafft, aber da die Fern-Uni dem Hochschulrecht unterliegt, können hier erworbene Scheine später bei der Fortsetzung des Studiums andernorts angerechnet werden.

Für Inhaftierte sind die Lern- und Studienbedingungen im Gefängnis schwierig. Im Januar 2002 teilten sich in Tegel 1.674 Gefangene die vorgesehenen 1.536 Haftplätze. Da bleibt wenig Muße zum Studieren und kein Platz für viele Bücher und Ordner. Eigene Computer werden, auch für Studenten, nur selten genehmigt.

Trotzdem bedeutet die Teilnahme am „Lernraum Virtuelle Universität“ für Peter B. mehr Normalität. Die schriftlichen Lehrmaterialien werden ergänzt durch Multimedia-Kurse, interaktive Videos und Trainingseinheiten am Computer. Der Häftling kann sich mit Kommilitonen in virtuellen Arbeitsgruppen treffen, an elektronischen Pinnwänden Nachrichten hinterlassen oder seine letzten Prüfungsergebnisse abfragen.

Online in den Katalogen der Unibibliothek zu recherchieren und effektiver als bisher die Fernleihe zu nutzen, ist für ihn das Wichtigste. Freien Zugriff auf das gesamte Internet hat Peter B. jedoch nicht: Ein so genannter Router leitet die Gefängniscomputer ausschließlich und direkt zum Studienangebot der Fern-Universität.

Klausuren, die andere Berliner Fernstudierende im FU-Studienzentrum hinter sich bringen, schreibt Peter B. in der Pädagogischen Abteilung unter Aufsicht eines Anstaltslehrers. Für die mündlichen Abschlussprüfungen reisen seine Kommilitonen nach Hagen. Peter B. wird mit der Fern-Uni wohl aushandeln müssen, dass seine Prüfer ihn dann im Gefängnis besuchen. EPD