Lance, le patron!

Kaum kommt die Tour in den Bergen an, rückt Armstrong die Verhältnisse mit zwei Etappensiegen zurecht

LA MONGIE taz ■ Als Lance Armstrong sich das gelbe Trikot zurechtzupfte, legte sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. Ein wenig stolz wirkte er und ein wenig so wie ein kleiner Junge, der sein Lieblingsspielzeug in den Händen hält. Ob er denn froh sei, dieses Hemd endlich wieder tragen zu dürfen, fragte man ihn, als verriete es dieses Grinsen im Gesicht nicht schon ohnehin. Mit einem zärtlichen Tonfall in der Stimme antwortete der Amerikaner: „Ja, ich mag es sehr.“

Die langen Tage der Ungewissheit und der Anspannung sind vorbei, bei Armstrong selbst, beim Publikum – und bei den Konkurrenten. Bis zur ersten Bergetappe am Donnerstag hatte der dreimalige Tour-Sieger kein deutliches Zeichen gesetzt, dass er der Patron, der Herrscher auch über diese Tour ist, so wie seit 1999 jedes Jahr. Im Gegenteil: Nach seiner ersten Niederlage in einem Zeitfahren bei der Tour de France am Montag waren sogar Zweifel an Armstrongs Form laut geworden. „Er muss in den Bergen erst zeigen, dass er der Super-Armstrong ist, der er in den vergangenen Jahren war“, sagte Joseba Beloki, sein ernsthaftester Konkurrent.

Bei seinem Etappensieg im Skizentrum La Mongie unterhalb des legendären Tourmalet deckte Armstrong endlich seine Karten auf. Seit Donnerstag besteht kein Zweifel mehr, dass er der stärkste Fahrer auch dieser Tour ist. Einen Gegner nach dem anderen hängte er ab, darunter auch Igor Gonzalez de Galdeano, der bis dahin das gelbe Trikot getragen hatte.

Nur Armstrongs edelster Helfer, der Vuelta-Sieger von 2000 Roberto Heras, war am Schluss noch bei ihm – und der Baske Joseba Beloki. Doch die beiden Fahrer der US-Postal-Mannschaft ließen Beloki keine Chance: Heras zog den Schlussspurt an, Armstrong schließlich stiefelte aus der günstigen dritten Position an beiden vorbei und zum Etappensieg.

Damit hat der Texaner Beloki gezeigt, wer der Herr im Hause ist, aber auch seinem Mannschaftskameraden Heras, dessen Leistung er der Form halber freilich lobte: „Er war der eigentliche Sieger des Tages.“ Trotzdem wollte Armstrong nicht nur das gelbe Trikot, sondern auch den Etappensieg für sich. „Wir“, wie er sich selbst bisweilen nennt, „wollten kein Risiko eingehen, dass Beloki Roberto im Sprint schlägt und die Zeitbonifikation für den Tagessieg einstreicht. Denn Beloki ist ein gefährlicher Mann“, entschuldigte Armstrong seine Gier. Doch er gab auch zu, dass Heras etwas zu beweisen hat und dass er auch deshalb lieber selber als Erster angekommen war.

Bei der gestrigen zweiten Bergetappe über 199,5 Kilometer von Lannemezan auf das 1.780 Meter hoch gelegene Plateau de Beille ließ es Armstrong zu einer solchen Situation erst gar nicht kommen: Bis sechs Kilometer vor dem Ziel ähnelte das Rennen ziemlich genau jenem des Vortages, inklusive einer ebenso langen wie vergeblichen Alleinfahrt von Laurent Jalabert, dann aber fackelte der alte und neue Patron der Tour nicht lange und ließ seine neuerlichen Schattenmänner Heras und Beloki einfach stehen. Mit der Präzision einer Nähmaschine strampelte der Texaner dem Ziel entgegen, zu halten oder gar zu bedrängen war er von keinem der Konkurrenten mehr. Am Ende hatte er auf den letzten sechs Kilometern noch 1:04 Minuten herausgefahren und damit seinen Vorsprung im Gesamtklassement auf 2:28 Minuten auf Beloki erhöht.

So hat Armstrong bereits an den ersten beiden Pyrenäentagen der diesjährigen Tour in jeder Hinsicht die Verhältnisse zurechtgerückt. Und seit der gestrigen Vorstellung dürften auch all jene verstummt sein, die selbst noch nach Armstrongs Etappensieg am Donnerstag weiter geunkt hatten, dem Texaner fehle es trotz seiner demonstrierten Stärke an der Dominanz der vergangenen Jahre. „Früher redete er nur über sich selbst“, fiel Manolo Saiz, dem Direktor von Belokis Mannschaft Once, jedenfalls noch nach der donnerstäglichen Etappe auf. „In diesem Jahr redet er viel über andere.“ Saiz’ Folgerung daraus: „Er ist nervös – und wer nervös ist, macht Fehler.“ Gestern wurde Saiz auch noch dieser Illusion beraubt. Lance Armstrong wirkte alles andere als nervös. Und Fehler, das war eindrucksvoll zu sehen, gedenkt er schon gleich gar nicht zu machen.

SEBASTIAN MOLL