„Die Angst ist immer noch im Hinterkopf“

Gegen die 28-jährige Alexandra wird weiterhin wegen der Beteiligung an den Demos in Genua ermittelt. Ihr drohen 8 bis 15 Jahre Gefängnis. Im letzten Jahr hat sich so auch die Form ihres Engagements verändert: Arbeit auf regionaler Ebene steht nun im Vordergrund

Wenn sie Pech hat, dann waren die sechs Wochen in Marassi nur der Anfang. Dann wird sie 8 bis 15 Jahre im Gefängnis sitzen. So hoch ist das Strafmaß für die Vergehen, derentwegen die italienische Staatsanwaltschaft ein Jahr nach Genua immer noch gegen die 28-jährige Berliner Studentin Alexandra ermittelt: schwerer Landfriedensbruch, Plünderung, Bildung einer „kriminellen Vereinigung“, bekannt als „Black Block“.

Alexandra sitzt mit ihrem Freund Sven, 27, in einem Café in Kreuzberg und sagt: „Genua hatte mit dem eigenen Handeln nichts mehr zu tun. Man konnte durch sein Verhalten nicht mehr bestimmen, welche Konsequenzen einen treffen.“

Es hat gedauert, bis sie zu dieser Erkenntnis gelangt ist, und das mag daran liegen, dass das Geschehene oder vielmehr seine Folgen schwer begreifbar sind: Alexandra und Sven waren mit acht weiteren Berlinern in zwei Wohnmobilen nach Genua gefahren. Es war ihre erste internationale Großdemonstration; nach dem Tod des Demonstranten Carlo Giuliani durch eine Polizeikugel, nach Gewalt, Gegengewalt und Razzien endete sie mit Festnahme, verbaler wie physischer Gewalt durch Staatsbedienstete, tagelangem Einsperren ohne Kontakt zu Anwälten, Untersuchungshaft, schließlich Ausweisung aus Italien samt fünfjährigem Einreiseverbot.

Alexandra, Sven und ihre acht Mitreisenden nahm die Polizei erst einen Tag nach Ende der Demonstrationen fest, als die Gruppe Genua längst verlassen hatte. „Sie kamen morgens, als wir noch schliefen“, sagt Sven. Rastalocken, Tätowierungen, schwarze Bikinioberteile, Flyer – wo ein konkreter Tatbestand nicht gegeben war, aber der Druck, Täter finden zu müssen, war als vermeintliches Indiz nichts zu banal.

Selbst der Tote-Hosen-Kopf draußen am Auto wurde der Zugehörigkeit zum Schwarzen Block verdächtigt. Die Düsseldorfer Punkrocker haben mittlerweile der italienischen Staatsanwaltschaft bestätigt, dass es sich dabei um ein eingetragenes Firmenzeichen handelt. „Eigentlich ist es absurd“, sagt ihr Berliner Anwalt Volker Ratzmann.

Die Absurdität hat ihre Wirkung nicht verfehlt: „Die Angst vor der Unberechenbarkeit ist im Hinterkopf“, sagt Alexandra. Die Haftbefehle sind nur außer Vollzug gesetzt. „Im Prinzip kann jede weitere Demo gegen uns gewertet werden.“ Weshalb Alexandra und Sven „im Moment“, wie sie sagen, von diesem Grundrecht eher absehen. „Vielleicht würde ich noch mal mitgehen, aber dann nur in einer Delegation, in einem abgesicherten Rahmen“, sagt Alexandra.

Auch die Studenten Basti, Monika und Sascha, die vor einem Jahr mit dem „Berliner Bündnis gegen G 8“ in Bussen nach Genua gefahren waren, sind seither auf keiner weiteren Großkundgebung im Ausland gewesen. Die Proteste gegen die Gipfeltreffen in Brüssel, Barcelona oder Sevilla fanden ohne sie statt. Mit Einschüchterung, geringerem politischem Interesse oder Resignation aber habe ihre Entscheidung „nun wirklich nichts zu tun“, sagen alle drei wie aus einem Mund. Zwar habe sich das Berliner Bündnis kurz nach Genua aufgelöst „im Streit um die Frage, wie breit es inhaltlich sein sollte“, sagt Sascha. Auch sei vielen bewusst geworden, „dass internationale Proteste seit Genua nicht mehr die gleiche Wirkung haben, weil ihnen die Gewalttätigkeit fehlt“.

Was sie aber nicht daran hindere, weiterhin politisch zu wirken. Im Gegenteil. „Die Bewegung ist wichtiger denn je“, sagt Basti. Krieg gegen Afghanistan, Rechtsruck in Europa, Soziallabbau in Berlin – es gebe genug zu tun, um sich gegen den weltweiten Neoliberalismus zur Wehr zu setzen.

Nur dass sich ihre Aktivitäten verlagert hätten – weg von internationalen Großdemos, hin zur inhaltlichen Arbeit auf regionaler Ebene: Basti, Monika und Sascha sind mittlerweile Attac Berlin beigetreten. „Die Organisation ist inzwischen so groß, dass wir tatsächlich die Ressourcen haben, vor Ort was auf die Beine zu stellen“, meint Sascha.

Nach Genua, ihrem ersten Gipfel, sei ihr erst richtig klar geworden, so Monika, „dass das, was auf den internationalen Konferenzen beschlossen wird, Auswirkungen auf uns vor Ort hat. Man muss also in lokalen Auseinandersetzungen den Bezug zur Globalisierung herstellen, um wirklich etwas zu bewegen.“ Weswegen Monika und Basti sich mittlerweile angeeignet haben, wie man Haushaltspläne und Bilanzen liest, um so etwa gegen das Berliner Kürzungsprogramm qualifiziert streiten zu können. „Es geht darum“, sagt Monika, „dass wir beispielsweise künftig auch Kita-Angestellte dafür gewinnen, zu Demonstrationen mitzufahren.“ HEIKE HAARHOFF